Montag, 22. August 2016

Mein Arbeitsleben beim EBV und bei RWE



So war´s

- Ausbildung, Berufstätigkeit, Weiterbildung und Karriere beim EBV -







Vorgeschichte:
Endlich, die Pflichtschulzeit war vorbei und in meinem Kopf verfestigte sich der wohltuende Gedanke - nie mehr lernen -. Ein übermächtiges Gefühl von Erleichterung durchströmte meinen einfältigen Verstand. Durch diesen Schulabschluss hatte ich mir meine Freiheit erkämpft. Der gesellschaftlichen Zwang, der Druck von Eltern und Lehrern hatte endlich ein Ende. Ich hatte mehr schlecht als recht, insgeheim leidend, unter der Fremdbestimmtheit durch andere Menschen und Instanzen, dieses ungeliebte Zwangssystem absolviert.

Mit meinen 15 Jahren war ich mir völlig darüber im klaren, dass für mich auch in den nächsten drei Jahren noch nicht das Endstadium meiner Autonomie erreichbar war, aber ich lebte in dem Glauben, dass es schlimmer nicht kommen könne. Die Gesellschaft, die Kultur, die Arbeitswelt das gesamte soziale Gefüge wurden in diesem Jahr 1967 großen Veränderungen und Verwerfungen ausgesetzt.

Ich empfand mich in völliger Übereinstimmung mit den Forderungen unterschiedlichster Jugendgruppen nach mehr Freiheit, mehr Mitbestimmung, mehr Unabhängigkeit – kurz gesagt – nach umwälzenden Systemveränderungen.

Der Satz meines Erzeugers, „Ich habe dich für die Lehre zum Elektriker angemeldet ...., nächste Woche hast du einen Einstellungstest“, relativierte augenblicklich meine frisch erworbene Freiheit. Da die einmal gefällte Entscheidung meines Erzeugers unangreifbar war und weil ich mir selbst noch keine konkreten Gedanken zum weiteren Verlauf meines beruflichen Lebens gemacht hatte, war mir diese Entscheidung überhaupt nicht wichtig. Warum nicht......?, Ich konnte mir den Laden ja einmal unverbindlich ansehen. Die Ankündigung kam für mich nur etwas überraschend, da die Aufnahme der Lehre, bei bestandenem Test, bereits in zwei Wochen stattfinden sollte.

Rückblende:
Ich, Sohn eines Bergarbeiters, verbrachte meine Kindheit in einem kleinen Dorf im Landkreis Aachen, der Begau. Die ersten fünf Jahre lebte ich mit meinen Eltern im Haus der Großmutter mütterlicherseits, Oma Otti, in zwei Zimmern.

Im Frühjahr 1958 wurde direkt am Siedlerhaus der Großmutter ein Anbau errichtet mit Küche, Diele, Bad, Wohnzimmer, Schlafzimmer und einem Kinderzimmer. Im Spätsommer des Jahres erfolgte der "Umzug" in den neuen Anbau. Die Wohnsituation hatte sich schlagartig verbessert.

Mein Erzeuger entstammte einer Bergarbeiter-Familie deren Zusammensetzung für mich lange unklar war. Mein Erzeuger hatte noch 3 Geschwister, 2 Brüder und eine Schwester. Der jüngere Bruder und die Schwester waren wohl von einem anderen Mann gezeugt worden. Deshalb war auch die leibliche Mutter meines Erzeugers (Maria Elisabeth Kaldenbach) nicht mehr da, sondern eine Stiefmutter (Erna Tille) kümmerte sich um die Kinder.

Der Vater von meiner Mutter war nicht aus dem zweiten Weltkrieg zurückgekehrt und galt als vermisst. Meine Mutter hatte noch 6 Geschwister 4 Brüder und 2 Schwestern. Sie war das älteste Kind ihrer seit dem Kriege alleinerziehenden Mutter.

Unmittelbar nach meiner Geburt erkrankte meine Mutter an multibler Sklerose, einer schlimmen Nervenkrankheit. Beide Elternteile führten den Ausbruch dieser Krankheit auf meine Geburt zurück, so dass es im Beziehungsverhältnis zueinander bereits sehr frühzeitig unüberwindbare Störungen gab. Elternliebe sollte für mich zeitlebens ein Fremdwort bleiben. Ich spürte jeden Tag die Abneigung meiner „Eltern“. Ausschließlich durch Zwang wurden mir Verhaltensweisen anerzogen die dem Erziehungskatalog meiner Erziehungsberechtigen entsprachen. Zurechtweisungen, Drill und Zwang waren dabei vorherrschend. Lob, Anerkennung oder Dankbarkeit lernte ich nicht kennen. So war meine Kindheit einerseits ein Leidensweg mit überwiegend negativen Erfahrungen, andererseits führte diese Erziehungsmethode sehr schnell zur kritischen Betrachtung der Eltern und erzeugte sehr starke rebellische Gefühle in mir.

Während der Kindergartenzeit und auch während der Schulzeit fand ich vorwiegend bei meinen Großeltern und in der Gleichaltrigengruppe Zuspruch und Anerkennung.

Später, in der Ausbildung und im Beruf war es genau das Gleiche. Über die gesamte Kindheitsentwicklung bis zum Zeitpunkt der Pubertät und dem Eintritt in das Berufsleben hatten sich in mir Schritt für Schritt Hass- und Rachegefühle gegen meine Eltern aufgebaut.

Die psychische Belastung behinderte mich sehr bei meinen schulischen Leistungen. Zeitweise kam es mir vor, als würde eine große Hand auf meinem Kopf liegen und diesen zusammendrücken. Manchmal hatte ich das Gefühl - als wenn ich ein Brett vor dem Kopf trage – das Botschaften mich einfach nicht erreichen konnten. Ich konnte nur schwarz-weiß denken, Zwischentöne waren nicht vorhanden. Alle Überlegungen waren extrem, nie nuanciert.

Lange spielte ich meiner Umwelt den angepassten und unkomplizierten Jungen vor. In meinem Inneren jedoch war ich immer delinquent, unangepasst und widerspenstig. Kurz gesagt ich habe mich als Kind stets der elterlichen Gewalt gebeugt.

Jedoch erste Anzeichen der Selbstbestimmung konnte ich ab dem Jahr 1965 bemerken. Über die Jugendzeitschrift Bravo erreichten mich Informationen die ich in meinem Elternhaus nie bekommen hätte. Ab diesem Zeitpunkt entwickelte ich eigene Vorstellungen über Musik, Mode, Sport und Politik. Auch die Themengebieter Sexualität, Mädchen und Probleme der Pubertät wurden vom Dr. Sommer-Team sehr informativ beschrieben. Der Hass auf meine Eltern wurde zwar dadurch nicht gemindert aber aus einigen Leserbriefen konnte ich erkennen, dass es anderen Jugendlichen ähnlich erging.

Mit und mit nahm die Autorität, diese Unantastbarkeit der Eltern rapide ab und ich begann mit einer genauen Analyse meines Status Quo und begann meine zukünftigen Verhaltensweisen zu definieren, zu untermauern und mit meiner mir eigenen, extremen Sichtweise auch zu verteidigen. Das Sammeln und verfestigen von mir nützlichen Argumenten wurde zu meiner wichtigsten Beschäftigung. Durch absichtliche Provokationen versuchte ich bei Streitigkeiten die Wirkung meiner Argumentation in die gewünschte Richtung zu lenken. Dabei gab es Siege und Niederlagen aber immer auch brauchbare Erfahrungen.


Eintritt in das Berufsleben.

Nun war es also soweit. Der Eignungstest für die Ausbildung zum Starkstromelektriker fand in den Räumen der Bergbau-Berufsschule statt. Etwa 80 Jugendliche hatten sich an diesem Morgen im Foyer der Schule eingefunden. Manche standen in kleinen Gruppen zusammen – weil sie sich kannten – oder weil die Eltern mitgekommen waren. Andere, wie ich auch, hörten alleine der Begrüßung und den weiteren Ausführungen des Ausbildungsleiters zu.

Dann wurden durch namentlichen Aufruf mehrere Gruppen gebildet. Jeweils ein Ausbilder führte „seine“ Gruppe dann in den zugewiesenen Klassenraum. Die Aufgabenblätter wurden verteilt und kurz darauf begann der Test. Es waren z.B. im Bereich „Deutsch“ fehlerhafte Worte oder Satzzeichen in einem vorgegebenen Text zu unterstreichen. Im Bereich „Logik“ mussten verschiedene Figuren aus Einzelteilen zusammen gelegt werden. Im Bereich „Mathematik“ waren Zahlenkolonnen auf Richtigkeit zu überprüfen bzw. weiter zu führen. Zuletzt mussten noch einige Körper in räumlicher Darstellung gezeichnet werden. Das Ende des Testes kam schneller als erwartet, ich hatte noch nicht alle Aufgaben gelöst. Die Testbögen wurden eingesammelt und die Teilnehmer wurden von dem Ausbilder mit den Worten entlassen „wir werden Ihnen schnellstmöglich das Ergebnis des Testes mitteilen“. Noch in der gleichen Woche erhielt ich die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch.

Das von mir erzielte Testergebnis lag leicht über dem Durchschnitt und so erhielt ich einen Lehrvertrag und die Aufforderung mich am 1. Arbeitstag im August in der Ausbildungswerkstatt einzufinden.

Die Zwangsschiene für die nächsten 3,5 Jahre war somit gelegt. Einen Elektriker hatte ich in meinem Leben bis dahin noch nicht bei der Arbeit gesehen. Nun sollte aus mir ein Elektriker werden – sogar ein Starkstromelektriker -. Ich hatte keinerlei Vorstellung von der Arbeit, die ein Starkstromelektriker macht. Mathe und Physik waren während meiner Schulausbildung eher Fächer gegen die ich eine Abneigung hatte. Man kann sich vorstellen, dass ich nicht sonderlich begeistert war. Ich trat also total unmotiviert meine Lehre an.
Mit dem lauten Ton einer Dampfhupe begann und endete ab nun jeder Arbeitstag im Ausbildungszentrum des EBV. Im ersten Lehrjahr wurden nur Schlosserarbeiten wie feilen, sägen, bohren und schmieden durchgeführt. Einer großen Mehrheit der Lehrlinge – auch mir - war nicht klar wozu ein Elektriker solche Arbeiten verrichten musste. Ab dem zweiten Lehrjahr wurden die Lehrlinge in Gruppen von 3 bis 5 Personen zu verschiedenen Abteilungen Untertage wie Übertage auf verschiedenen Bergwerken verlegt und dort den jeweiligen Gesellen zugeteilt. Ab dieser Zeit wurde jedem klar, welche Arbeiten ein Starkstromelektriker im Bergbau zu verrichten hatte. Im Schwerpunkt waren dies Störungsbeseitigungen, Wartungen und Instandsetzungen an elektrischen Betriebsmitteln jeder Art. Von der Energieerzeugung über Steuerungen und Regelungen, Telephonie, Überwachungseinrichtungen zog sich dies bis zu den Antriebsmaschinen, Krananlagen, Aufzügen, Fördermaschinen und den speziellen, nur im Bergbau eingesetzten Sondermaschinen. Durch die ständig wechselnden Arbeitsplätze lernten wir viele Kollegen und Vorgesetzte im Unternehmen kennen. In der letzten Phase der Ausbildung wurden wir sowohl theoretisch (in der Berufschule, von Herrn Faust) als auch praktisch (im Ausbildungszentrum, von Herrn Swoboda) gut auf die Prüfung zum Starkstromelektriker vor der Industrie- und Handelskammer vorbereitet. Soviel zur täglichen Ausbildung, aber wie sah es in den Lehrlingen aus, was interessierte sie und was unternahmen sie nach Schichtende?

Aus dem Bereich Begau, Mariadorf und Eschweiler fuhren 5 Lehrlinge jeden Tag mit der Straßenbahn zum Denkmalplatz nach Alsdorf und gingen von dort zu Fuß – über die Betshäeck - bis zur Ausbildungsstätte kurz vor Alsdorf-Busch.

Bei diesen ca. 15 minütigen Wegen zur Ausbildungsstätte und wieder zurück zur Straßenbahn wurde natürlich hauptsächlich gequatscht. Da in diesem Jahr 1967 am Mariadorfer Dreieck eine Diskothek mit dem Namen „Studio Dreieck“ eröffnet wurde bestand nun auch die Möglichkeit sich in einem angenehmen Rahmen außerhalb der Arbeit zu treffen.

Die Jugendlichen die sich im Studio Dreieck trafen waren vorwiegend aus Mariadorf, Hoengen, Warden, Begau, Linden, Neusen, und Broicher Siedlung also dem näheren Umfeld. Es gab aber auch vereinzelte Jugendliche aus Eschweiler, Aldenhoven, Alsdorf, Merkstein oder Herzogenrath. Schnell bildeten sich verschiedene Cliquen. Die Clique der ich mich zugehörig fühlte bestand aus 3 Lehrlingen des EBV und drei Mitgliedern einer Beat-Band. Die Themen waren vorwiegend Musik, Gitarren, Mode, Mädchen und teilweise auch Politik, Schule und Ausbildung. Sehr starke Themen waren 1967 der Tod von Benno Ohnesorg und 1968 die Studentenunruhen in Berlin. Ebenfalls 1968 eröffnet in Warden der Tatersaal. Dort gab es Discomusik und es traten des öfteren auch Live-Bands auf. Musikalisch angesagt waren neben den Beatles und Rolling Stones auch die Kinks. Die Mode wechselte sehr schnell, aber immer im Sinne der Jugendlichen z.B. Schlaghosen, Blümchenhosen, grell farbene Hemden, besonders breit geschnittene Krawatten, Rüschenhemden, taillierte Hemden, Schuhe mir erhöhten Absätzen, Jeans, Lederjacken- und mäntel, Parka, Minirock, Midimode, Maximode, heiße Höschen, farbige Strumpfhosen usw. Bei den Mädchen war es den Jung´s wichtig, wie sie sich gaben, ob man mit ihnen ernsthaft reden konnte, Verschwiegenheit und Diskretion, der Musik- und Modegeschmack und wie verlässlich sie waren. Bei den Gitarren waren die absoluten Renner, Framus, Fender und Gibson, bei Gesangsanlagen und Gitarrenverstärkern Dynacord und bei den entsprechenden Geschäften Offelder und Rödiger. Die Themen Schule und Ausbildung gab es nur am Rande.

Im Elternhaus war das erste Thema, dass die Ausbildungsvergütung (der Lohn) natürlich an die Eltern ging. Mir wurde erklärt welche Kosten ich verursache. Das ging von Kohle, Wasser und Strom über die Nahrung, die Kleidung, die Fahrtkosten zur Arbeit, Bücher und Schulbedarf bis zu Einrichtungsgegenständen, deren Verschleiß und Neukauf so das am Ende das Geld gerade noch ausreiche mir ein natürlich karges Taschengeld zu zahlen. Kurz gesagt, das verdiente Geld war weg. Dieser Umstand förderte meine Motivation natürlich ins Unermessliche. Zumal zu meinen häuslichen Pflichten neben Kohlen schöppen, Holz hacken nun auch noch teilweise Gartenarbeit hinzukam.
Die Übergangsphase vom Kind zum Jugendlichen vollzieht sich schleichend. Es gibt nicht den Punkt oder die Sekunde an der es passiert. Das Kind welches in der Gefühlswelt noch eine große Rolle spielt und weiterhin auch immanent nachwirkt wird durch die körperliche Entwicklung aus dem Blickfeld genommen. Die seelisch geistige Entwicklung läuft aber nicht parallel und zeitgleich ab. Jedoch starke Veränderungen der Alltagsabläufe wie z.B. der Beginn der Lehre sind in dieser Zeit sehr bestimmend.



Die Zeit von der Jahresmitte 1967 bis zum Winter 1971 war für mich die wichtigste Zeit meines Lebens.

In diesen vier Jahren wurden alle Grundlagen für mein späteres Leben gelegt. Der wirksamste Schritt in dieser Zeit war die endgültige Loslösung von den Eltern, in keiner Facette wollte ich so werden wie sie. Meine Ziele waren Wärme (nicht Kälte), Toleranz (nicht Zwang), Verständnis (nicht Diktat), einbeziehen (nicht ausgrenzen), Wertschätzung (nicht Diffamierung), Anerkennung (nicht Abwertung), Offenheit (nicht Abschottung) und Ehrlichkeit (keine Heuchelei). Zugegeben, sehr idealistische Ziele jedoch zielführend für eine ganze Generation und deshalb auch erreichbar. Voraussetzung zur Erreichung dieser Ziele war eine völlige Umprogrammierung der anerzogenen Verhaltensweisen. Glücklicherweise vollzog sich genau in diesen Jahren ein enormer gesellschaftlicher Wandel in Deutschland bei dem diese Ziele eine große Rolle spielten. Das Motto von Willi Brandt „wir wollen mehr Demokratie wagen“ war keine Sprechblase sondern wurde mit und mit Realität. Provokationen gegen das verhasste Spießertum wie „Sex, Drugs and Rock n Roll“ waren dabei nur Mittel zum Zweck. Jedoch welche kraftvolle gesellschaftliche Wirkung die sexuelle Revolution und auch der Einfluss der Beatmusik haben würden war zu diesem Zeitpunkt nicht vorauszusehen. Weitere Ableger des gesellschaftlichen Wandels waren die Emanzipation der Frauen, neuartige Lebensentwürfe (z.B. Kommune I) oder die APO (außerparlamentarische Opposition).



Ein weiterer lebensentscheidender Schritt für mich war in dieser Zeit die Berufsausbildung mit dem letztlich „guten“ Abschluss zum Facharbeiter. Erstaunlich genug, da die Lehrjahre zu großen Teilen von Konflikten, Lustlosigkeit, Repressalien und Interesselosigkeit gekennzeichnet waren. Die Umprogrammierungen der Verhaltensweisen waren während der Ausbildung nicht gerade hilfreich. Der grenzenlose Freiheitsdrang erreichte innerhalb der hierarchisch geprägten Berufswelt sehr schnell seine Grenzen.



Unabdingbare Anforderungen wie Disziplin und Gehorsam standen in krassem Gegensatz zu meinem Lebensgefühl. Im Ergebnis kann man wohl sagen „ich schlängelte mich so durch“.Die Leistungen in der Berufschule waren selten besser als ausreichend. Die praktische Arbeit war mal interessant und manchmal auch öde. Beispielsweise hat das Verdrahten von Schützen und Hochspannungsschaltern oder Installations-arbeiten in Werkstätten mir wirklich Freude gemacht. Andererseits, drei Monate lang nur Motoren reinigen und streichen entsprach nicht meinem intellektuellen Anspruch. Die Arbeit auf anderen Zechen Unter- und Übertage war immer interessant. Dabei lernte ich eine Menge verschiedener Leute kennen. Die Beschäftigung innerhalb der Elektrohaupt-werkstatt war dagegen mehr von Routine und Kontrolle gekennzeichnet, was im Nachhinein gesehen auch dringend nötig war. Im Jahr 1971 standen dann die theoretische Prüfung vor der Industrie- und Handelskammer in Aachen und die praktische Prüfung in der Ausbildungsstätte des EBV an. Obwohl meine Leistungen im schulischen Bereich mit „ausreichend“ und im praktischen Bereich mit „befriedigend“ bewertet wurden schaffte ich die Facharbeiterprüfung theoretisch mit „befriedigend“ und praktisch sogar mit „gut“.

Mein Gefühl damals......

Einen schönen Gruß an alle Besserwisser.

Ich hab es euch gezeigt, ihr Pisser.


Der dritte lebenswichtige Schritt war der Größte. 1969 lernte ich ein 16-jähriges Mädchen kennen, Daggi. Es entwickelte sich eine Liebesbeziehung die durch vielfältige Widerstände und Anfeindungen immer fester wurde. Ich war von dem immer lustigen Teenager bezaubert. Noch nie in meinem Leben hatte ich einer Person soviel Liebe entgegen gebracht.

Mir wurde sehr schnell klar, dass dieses Mädchen meinem Traumbild einer jungen Frau in allen Facetten entsprach. Mit ihr konnte ich bei Spaziergängen stundenlang quatschen. Wir hatten zusammen Spaß in den Disco´s oder bei Feten. Uns verband das gleiche Lebensgefühl und die Vorstellung von Familie und einer gemeinsamen Zukunft. Nicht zuletzt sah Daggi verdammt gut aus und brauchte keinerlei Vergleich zu scheuen. Unsere Gefühle füreinander wuchsen ständig und festigten sich. Am Wochenende waren wir viel auf Achse, machten ausgedehnte Spaziergänge, waren auf Partys oder in der Disco. Wir konnten unsere Grundstimmungen voll ausleben, dazu gehörten die tolle Musik dieser Jahre, das Tanzen, jede Menge Albernheiten aber auch das gegenseitige Einstehen und absolute Verlässlichkeit. 1970 verbrachten wir (ohne Erlaubnis der Eltern) unseren ersten gemeinsamen Urlaub auf dem Campingplatz in Rurberg. Wir hatten kaum Geld aber das war auch nicht das Wichtigste. Die Tage in Rurberg waren eine völlig neue Erfahrung. Erstmals waren wir alleine auf uns gestellt, wir konnten uns den Tag einteilen wie wir es wollten und wir waren erstmals auch über Nacht zusammen. Auch wurde uns hier ganz klar bewusst, dass Sexualität zwar etwas schönes ist, aber nicht alles in einer Beziehung bedeutet. Erstmals habe ich hier daran gedacht dieses Mädchen zu heiraten. Mit dieser Superfrau wollte ich unbedingt eine Familie gründen und eigene Kinder haben.

Noch war nicht abzusehen wie eine gemeinsame Zukunft genau aussehen könnte aber eines war klar, egal wie, wir Beiden wollten zusammen bleiben. Unser Selbstvertrauen war genau so gigantisch wie unsere Liebe, unsere Naivität so groß wie unsere Selbstsicherheit und das Wissen, dass diese Entscheidung ein Leben lang tragen sollte. Beide hatten wir den Wunsch Kinder in die Welt zu setzen denen es gut gehen sollte. Für uns beide bedeuteten Kinder das höchste Glück, die größte Freude und schönste Erfüllung.

Die Zeichen standen also auf „gemeinsame Zukunft“. Deshalb war es nötig sich noch vor dem Beginn dieser Zukunft eine Übersicht über den Status Quo zu verschaffen. Wie passte die aktuelle Lebenslage z.B. in die Bedürfnispyramide von Herrn Maslow?

In diesen Jahren wurden unsere Grundbedürfnisse noch von den Elternhäusern abgedeckt. Unsere Sicherheitsbedürfnisse waren auch zum Teil erfüllt (wir gingen beide in die Lehre und würden sicherlich auch eine berufliche Zukunft haben). Allerdings fand ich es gar nicht so toll, dass meine Frau „arbeiten“ sollte. Mein Bild von Familie war anders, da war die Frau keine „Arbeitskraft“ sondern Mutter und Ehefrau. Wie sollte sich mein Kinderwunsch denn mit einer berufstätigen Frau erfüllen? Ich war sicher, dass Daggi im Grunde diese Einstellungen teilte. Unsere sozialen Bedürfnisse waren durch unsere Liebe zueinander, aber auch durch Freunde und letztendlich auch durch die Gruppenzugehörigkeit zur „rebellischen“ Jugend gedeckt. Alle „ICH Bedürfnisse“ wie Anerkennung, Autorität oder Geltung waren für uns nicht wichtig.

Wie bereits erwähnt schaffte ich den Berufsabschluss mit guten Leistungen. Leider?? schaffte Daggi die Prüfung zur Bürokauffrau nicht, aber das war für mich auch nicht wichtig da ich ja sowieso keine berufstätige Frau als Mutter unserer gemeinsamen Kinder haben wollte.

Lange Rede, kurzer Sinn. Wir waren uns einigermaßen über unsere Situation im klaren. Deshalb machte ich, in meiner unnachahmlichen, unbeholfenen Art meiner Angebeteten eine Art Heiratsantrag (na gut, es war wohl eher so eine Art „Feststellung“) die aber trotzdem, zu meiner großen Freude, auf eine positive Antwort traf. So heirateten wir am 12.11.1971 ganz unspektakulär und einfach. Die standesamtliche Zeremonie war für uns beide ausreichend. Eine kirchliche Trauung stand nie zur Debatte.

Ich hatte gerade ein halbes Jahr als Geselle gearbeitet da bekam ich den Einberufungsbescheid. Ab dem 2. Januar 1972 musste ich meinen Wehrdienst bei einem Schützenpanzer-Batallion in Nienburg an der Weser ableisten. Über diese Zeit könnte ich nun mehrere Seiten schreiben will es jedoch bei einigen Aspekten belassen.

Grausame Trennung von Daggi – Fremder unter Fremden – harter Drill – Absturz in Drogen – aber auch:

Bewältigung von Frustrationen - Ordnung lernen – mit Anpassungsdruck umgehen – Freude über das baldige Ende dieser Zeit.

Die größte Freude nach der Bundeswehrzeit war der Schwangerschaft von Daggi. Am 29.10.1973 wurde unser Sohn Michael geboren, ein absolutes Wunschkind. Die Geburt lief ohne Komplikationen ab und der Junge war gesund. Ab nun waren wir eine eigene kleine Familie. Unser Glück lässt sich nicht beschreiben.

Direkt nach der Bundeswehrzeit meldete ich mich auf meiner Arbeitsstelle zurück.

Es war ein fröhliches Wiedersehen mit den „alten“ Arbeitskollegen. Ich erfuhr, dass einer meiner Arbeitskollegen (Werner Callies) während meiner Bundeswehrzeit die Vorschule für die Weiterbildung zum Steiger besuchte. Er hatte mittlerweile die ersten beiden Semester der Vorschule schon geschafft. Ich sprach bei nächster Gelegenheit mit diesem Kollegen und erfuhr, dass noch Plätze in der Vorschule frei waren. Ich begann ernsthaft daran zu denken ebenfalls diese Weiterbildung zu machen. Mir war klar, dass ich als Starkstromelektriker mit dem geringen Einkommen keine großen Sprünge mit einer Familie machen können würde. Also meldete ich mich nach gründlicher Überlegung auf der Vorschule an. Ich stieg als Quereinsteiger im dritten Semster der zweijährigen Vorschule ein. Da alle anderen Mitschüler bereits 2 Semester absolviert hatten musste ich neben dem aktuellen Lehrstoff noch den Stoff der beiden ersten Semester nachholen. Dies gelang mir sehr gut und so kam es, dass ich nach einem Jahr mit den anderen Mitschülern den Antrag auf Aufnahme in die Bergschule stellen konnte.

Eintrag aus meinem Tagebuch

Ich bekomme Bescheid von der "Bergschule zu Aachen", dass ich in den 31. Elektrosteigerlehrgang aufgenommen wurde. Der Unterricht beginnt für mich am 9. September 1974. Damit wird das "beruflich" wichtigste Kapitel meines Lebens beginnen.

Ich schaue voller Zuversicht in die Zukunft. Ich will etwas lernen, zum ersten mal sagt mir keiner das ich es "muss".

Nicht nur plötzlicher Wissensdurst, sondern die Verantwortung für meine zukünftige Familie, sowie deren finanzielle Absicherung und der Konkurrenzkampf (intellektuell) mit meinem Arbeitskollegen sind die Hauptentscheidungskriterien für mich, die Laufbahn zum Steiger zu wagen

Berechnungen über die Höhe des Monatsverdienstes während meiner Bergschulzeit.

Mein letzter Lohn als Elektriker betrug Brutto 1695,28 DM. Dies entsprach einem Netto-Lohn von ca. 1130,20 DM.

Der Brutto-Schichtlohn lag bei 78,85 DM und somit bei einem Brutto- Stundenlohn von 9,85 DM in der Lohngruppe 8 der Elektriker.

Als Bergschüler wurde ich direkt in die Lohngruppe 10 eingestuft.

Dies entsprach der Lohngruppe eines Elektro-Vorarbeiters.

Da ich als Bergschüler wöchentlich nur zwei Schichten beim EBV verfuhr (drei Schichten Bergschule pro Woche), wurde für das Arbeitsamt ein wöchentlicher Brutto-Verdienst von 370 DM zugrunde gelegt. Dies bedeutete einen Brutto-Monatsverdienst von 1480 DM.

Das heißt ein Netto-Monatsverdienst von 987 DM. Dazu gerechnet wurde eine wöchentliche Unterstützung AFG vom Arbeitsamt in Höhe von Netto 125 DM, d.h. 500 DM Netto pro Monat hinzu.


Letztendlich ergab sich dann eine Monats-Netto-Verdienst von

987 DM EBV

+500 DM AFG vom Arbeitsamt

=1487 DM Netto-Verdienst.

Fazit:

Nur durch den Wechsel auf die Bergschule verdiente ich auf einen Schlag 357 DM Netto im Monat mehr. Dies entsprach einer Lohnerhöhung von ca. 31,6 %.

Der Wechsel zur Bergschule war somit finanziell gesehen, die lukrativste Entscheidung die ich bis dahin je in meinem Leben getroffen hatte.

Natürlich bewirkten diese Tatsachen einen unheimlichen Motiva-tionsschub. Das Unternehmen EBV gab mir eine Chance in seiner Elite-Gruppe und bezahlte dazu noch sehr gut.

Rückblickend waren die 6 Semester Bergschule zu Aachen eine schöne Zeit. Allerdings waren diese drei Jahre geprägt vom Lernen.

Zur Senkung der Kosten wurde eine Fahrgemeinschaft gegründet. Der Fahrgemeinschaft gehörten neben mir noch mein Vetter Josef Steffens und mein Freund und Arbeitskollege Werner Callies an.

Keiner dieser drei jungen Männer war während der Ausbildung durch besonders gute Leistungen aufgefallen, sie waren bisher eher mittelmäßige Schüler mit mittelmäßigen Arbeitsleistungen gewesen.

In der Bergschulzeit konnte ich mich deutlich von meinen Mitschülern absetzen. Schon bald gehörte ich zu den drei besten Schülern. In den Zeugnissen wurden mir durchweg gute Leistungen bescheinigt. Dieses sollte bis zum Ende der Bergschulzeit auch so bleiben. Ich machte den „zweitbesten“ Prüfungsabschluss in meinem Jahrgang, minimal besser war nur Willi Hamacher.


Mein Wunschbetrieb für eine Steigertätigkeit war die Grube Emil Mayrisch über Tage in Siersdorf.

Wenn es betrieblich möglich war, wurden die Wünsche der „neuen“ Steiger vom EBV berücksichtigt. Leider klappte dies bei mir vorerst nicht. Da in diesem Jahr 1977 die Zeche Carl Alexander in Baesweiler geschlossen wurde und ein Großteil der Belegschaft von Emil Mayrisch übernommen wurde, war keine Planstelle im Übertagebetrieb mehr frei.

Ich musste deshalb meine Steigertätigkeit als Angestellter in Alsdorf auf Anna 1 unter Tage beginnen. Das war nun gar nicht meine Welt. Unter Tage war mir in meiner Ausbildung und auch als Bergschüler schon immer ein Graus gewesen. Die elektrotechnische Betriebsausrüstung war mir viel zu speziell und auch die Tätigkeiten wie: Energiezüge vorfahren, Panzer- und Hobelsteuerungen einbauen, Kabel anlängen oder kürzen entsprachen nicht meinen Wunschvorstellungen. Nach 9 Monaten in dieser ungeliebten Tätigkeit hatte ich das Glück, dass einer der übernommenen Steiger auf Emil Mayrisch in die Rente ging. Als ich davon hörte bewarb ich mich erneut für die Stelle auf Emil Mayrsich „über Tage“ und konnte ab 2. Mai 1978 meine Wunschtätigkeit aufnehmen.

Endlich angekommen, die Mühen haben sich gelohnt – so lässt sich meine Gefühlslage beschreiben.

Warum war Emil Mayrsich „über Tage“ eigentlich ein so großer Wunsch?

Während meiner Ausbildungszeit und auch als Bergschüler war ich mehrere male dem Übertagebetrieb Emil Mayrisch zugeteilt. Dabei wurde ich in vielen Betriebsstellen eingesetzt z.B. auf der Bergehalde, in der Sieberei, in der Wäsche, auf dem Holzplatz, in den Betriebswerkstätten, im Kesselhaus und in der Gasanlage, in den Trakten I bis VII, im Relaisraum, im Magazin, auf der Fördermaschine oder an den Grubenlüftern. Bei diesen Einsätzen lernte ich mit und mit die komplette Belegschaft und die zuständigen Steiger des Übertagebetriebs kennen. Die Technik war sehr vielfältig und mit den Elektrikern verstand ich mich immer gut. In diesem Umfeld hat mir die Arbeit immer Spaß gemacht. Außerdem gab es hier einige Gesellen von denen man wirklich etwas lernen konnte und einen außergewöhnlichen Reviersteiger mit enormen Fachwissen.

Nun stand ich, am 2. Mai 1978, als 25-jähriger, vor meinen ehemaligen Gesellen (ca: 20 Mann) im Schaltraum „Wagenumlauf“ und wurde von den beiden Reviersteigern und dem Fahrsteiger des Elektrobetriebes als neuer Kollege und Vorgesetzter vorgestellt.

Ein halbes Jahr wurde ich in die betrieblichen Abläufe, Verant-wortlichkeiten, Zuständigkeiten und Verhaltensweisen für meine Steigertätigkeit eingewiesen.

Ich lernte dabei den Ablauf eines Arbeitstages genau kennen. Zum Verständnis hier ein Beispiel:

Fahrt zur Arbeit und Abstellen des Pkw auf dem Parkplatz. Umziehen im Steigerbad. Zusammen mit anderen Kollegen zum Steigerbüro gehen. 6:00 Uhr, kurze Frühbesprechung – Rapportbuch lesen, mit dem Kollegen der Nachtschicht sprechen, falls nötig Restarbeiten zur Erledigung notieren -. Mit dem Reviersteiger zur Elektrowerkstatt gehen und die Leute einteilen. Standardmäßig werden einige Betriebspunkte fest belegt, so z.B. je ein Mann für die Sieberei, Wäsche, Fördermaschine, Bergehalde, Magazin und 4 bis 5 Mann zum Energiebetrieb. Der Rest der Mannschaft wird für längerfristige Planarbeiten eingesetzt (meist Wartungs- oder In-standsetzungsarbeiten). Mit dem Reviersteiger zurückgehen zum Büro. Entweder besondere Aufträge des Reviersteigers erledigen oder planmäßige Arbeiten im eigenen Zuständigkeitsbereich. Diese planmäßigen Arbeiten durch den Steiger sind meist Sichtkontrollen und/oder Prüftätigkeiten die z.B. die Blitzschutzanlage, die Schutz-maßnahmen gegen Berührungsspannung, die Notaus-Abschaltungen, die Fahrtreppen oder Aufzüge, verschiedene Batterieanlagen, Meldeanlagen, Petersenspulen, Schreiberauswertungen oder auch TÜV-Mängelbeseitigung usw. betreffen. Außerdem muss der Steiger jeden belegten Arbeitsplatz innerhalb seiner Schicht zwei mal befahren. Die Pause wird zusammen mit den anderen Kollegen (auch vom Maschinenbetrieb) im Büro verbracht. Dabei kommen per Telefon weitere Aufträge und Störmeldungen zur Bearbeitung beim Steiger an. Im Schichtwechsel (zum Ende der Frühschicht) wieder kurze Besprechung, Eintrag von Informationen in das Rapportbuch und mit dem Kollegen der Mittagschicht sprechen. Zusammen zum Steigerbad gehen, duschen, umziehen, zum Parkplatz gehen und mit dem Pkw nach Hause fahren.

Ab Januar 1979 durfte ich dann meine „eigene“ Schicht übernehmen. In Mittag- oder Nachtschicht waren immer 2 Steiger und 4 Mitarbeiter für den störungsfreien Ablauf des Betriebes zuständig.

Ein Steiger und drei Mitarbeiter wurden in der Produktion (Sieberei, Wäsche, Fördermaschine) eingesetzt und ein Steiger mit einem Mitarbeiter (wenn nötig auch mehr) wurden zur Befahrung der Grubenlüfter und für Störungen im Energiebetrieb eingesetzt.

Einige Zeit wurde ich im Energiebetrieb eingesetzt, danach aber fest in der Produktion. Der Wechsel war im Normalfall 2*Frühschicht, 1*Mittagschicht und 1*Nachtschicht pro Monat. Dieser Ablauf sollte für die nächsten 9 Jahre mein Arbeitsleben bestimmen.

1984 wurde die Wäsche auf eine neue Technik (SPS) umgestellt. Ich war an dieser neuen Steuerungstechnik so sehr interessiert, dass ich mich freiwillig ein Jahr lang auf Nachtschicht meldete um mich so in Ruhe mit der neuen Technik beschäftigen zu können. Da die Nachtschicht „ruhiger“ war als die Frühschicht fand ich viel Zeit zur Erkundung dieser neuen Technik. Mit der Zeit eignete ich mir einiges an Wissen an (auch durch die Teilnahme an vielen SPS-Seminaren) und war bald auf einem gehobenen Wissensstand. Diese Tatsache blieb der Führung nicht verborgen und deshalb wurde mir ab 1985 der Verantwortungsbereich „Wäsche“ fest übertragen. 1986 erhielt ich den Auftrag, selbst eine Steuerung für die neue Flockungsanlage zu entwickeln. So verbrachte ich nun den größten Teil meiner Arbeitszeit mit der Planung und dem Zeichnen von Schalt-plänen und zusammen mit einem Mitarbeiter mit dem Bau der Steuerungsanlage. Am Ende des Jahres 1986 wurde die neue Anlage in Betrieb genommen. Weiterhin war ich in Bezug auf Technik und Funktionsweisen sehr interessiert. Mitte des Jahres 1986 bat mich der Fahrsteiger die Mitarbeiter in die neue SPS-Technik einzuweisen. Ich führte ab da die betriebsinterne Unterweisung der Elektriker in die neue Technik durch. Dazu hatte ich mir selbst ein Konzept erarbeitet und der Betrieb stellte mir eine Übungs-S5 zur Verfügung. An dieser Übungs-S5 konnten Störfälle simuliert und eine Störungssuche mit dem Programmiergerät durchgeführt werden. Diese praxisbezogene Art der Unterweisung kam bei den Mitarbeitern gut an, sparte Kosten und war flexibel (auf den Betrieb abgestimmt) zu handhaben.

Im November 1987 teilte der neue Betriebsführer Herr Müller mir mit, dass ich ab dem 2. Januar 1988 den Produktionsbetrieb der Elektroabteilung als Reviersteiger verantwortlich übernehmen soll. Hoffnungsvoll sah ich dem Ende des Jahres 1987 entgegen. Noch vor Weihnachten, am 8. Dezember 1987, erhielt ich die Ernennungsurkunde zum 1. Elektrosteiger und den Auftrag zur Revierführung des Elektrobetriebes. Ich kann nur schwer beschreiben welche Freude ich empfand aber es war einer der glücklichsten Momente in meinem Leben.

Am 2. Januar 1988 übernahm ich die Revierführung des Elektrobetriebes. Ich war damit der Vorgesetzte von 4 Steigern 8 Vorarbeitern und 31 Mitarbeitern und hatte selbst nur noch einen direkten Vorgesetzten nämlich den Fahrsteiger Giancarlo Franzetti, mit dem ich immer blendend ausgekommen bin. Als Reviersteiger war ich ab jetzt zuständig für die Errichtung, den Betrieb und die Wartung aller Anlagen des Elektro-, Energie- und Funktionsbetriebes, wobei die örtlichen und sachlichen Grenzen dem Organisations-, Stellenbesetzungs- und Dienstplan jeweils in der zuletzt gültigen Fassung zu entnehmen waren. Außerdem war ich zuständig für die lückenlose und eindeutige Abgrenzung der Aufgaben und Befugnisse meiner Mitarbeiter und für deren geordnete Zusammenarbeit.

Als Volksschüler hatte ich bis hierhin doch einiges erreicht. Im gesamten Familienumfeld (z.B. Opa, Vater, Onkel, Vettern) hatte es mit einer Ausnahme (ein Onkel der studiert hatte und nun Studienrat war) keiner beruflich soweit gebracht. Es gab zwar viele Handwerker (Schlosser, Maurer, Maschinist und Elektriker) in der Familie aber noch keinen der es bis in die Führungsetage geschafft hatte. Ich war stolz auf diese Leistung und fühlte mich gleichzeitig verpflichtet weiter an meiner Berufskarriere zu arbeiten. Mit meiner Ausbildung gab es nur noch eine Ebene die ich erreichen konnte und das war die Ebene des Leitenden, des AT-Angestellten, des Fahrsteigers. Die Tätigkeit des Fahrsteigers war ab sofort mein erklärtes Fernziel.

Doch zunächst musste ich mich in die Tätigkeiten des Reviersteigers einarbeiten. Ich war bereits seit Anfang meiner Aufsichtstätigkeit ein großer Verfechter des kooperativen Führungsstils. Deshalb nahm ich mir vor diesen Führungsstil in meinem Revier fest zu etablieren. Zur Förderung der zwischenmenschlichen Beziehungen lud ich als erstes alle Vorarbeiter zu einem gemeinsamen Kegelabend ein. Ziel dabei war es, die Kommunikation untereinander zu verbessern, sich besser kennen zu lernen und ein „Wir-Gefühl“ zu erzeugen. Im Rückblick darf ich behaupten, dass dieses Ziel erreicht wurde. Auf meine Vorarbeiter konnte ich mich immer verlassen. Durch eine lohnbezogene Leistungsprämie konnte ich der Anerkennung der Leistungen meiner Mitarbeiter Ausdruck verleihen. Ich fand mich rasch in der neuen Aufgabe zurecht. Mein Umgang mit Kollegen, Vorgesetzten und Mitarbeitern war freundschaftlich und produktiv. Für mich hätte es so noch mehrere Jahre weitergehen können. Jedoch durch einen Beschluss der Bundesregierung wurde das Ende des Steinkohlenbergbaus Ende 1987 eingeläutet. Die Stilllegung der Steinkohlenbergwerke im Aachener Bereich wurde fest beschlossen.

Meine Stimmung war nun auf dem Nullpunkt. Gerade jetzt, wo alles so gut lief kam das Aus. Nun ging es um existenzielle Fragen, die unbedingt geklärt werden mussten.

Zur Klärung der Zukunft wurde der Familienrat einberufen. So kam es, dass im Frühjahr 1991 Alex (39), Daggi (38), Micha (18) und Birgit (9) zusammen den „Fahrplan“ für die kommenden Jahre fest-

legten. Es gab einige Möglichkeiten z.B. VEGLA, eine Fahrsteigerstelle im Raum Hürth, Reviersteiger auf Sofia Jacoba oder eine einfache Steigerstelle bei Rheinbraun in Weisweiler. Niemand hatte große Lust jetzt wieder umzuziehen. Deshalb einigte sich die Familie nach ausgiebiger Diskussion, dass die Stelle als Steiger bei Rheinbraun wohl die beste Lösung sei.

Nach einem erfolgreichen Vorstellungsgespräch trat ich dann am 1. September 1991 meine neue Stelle als Steiger im Braunkohlenbergbau bei Rheinbraun in Weisweiler an.

Über die kommenden 12 Jahre im Tagebau Inden in der Abteilung Fördergeräte (Absetzer und Bagger) brauche ich nicht viele Worte zu verlieren. Meine Karriere wurde durch die Schließung der Bergbaubetriebe im Aachener Bereich abrupt gestoppt.

Dennoch bin ich letztendlich mit einem blauen Auge davon gekommen weil ich bereits im Jahr 2003 mit 51 Jahren in den Vorruhestand gehen konnte. Dies war zwar kein großer finanzieller Gewinn aber ein unschätzbar großer Zeitgewinn. Das Arbeitsleben war für mich nach 36 Jahren Berufstätigkeit für immer vorbei. Ab dem 1. August 2003 war ich nicht mehr „fremdbestimmt“ und konnte meine Zukunft ganz persönlich, abgestimmt auf meine Neigungen und Wünsche, planen und leben.

Womit habe ich diese geschenkte Zeit ausgefüllt.

Als klar wurde, das ich in den Vorruhestand versetzt würde, kauften Daggi und ich als erstes ein altes Haus in Alsdorf/Warden. Dies wurde auch deshalb nötig, weil die Mietpreise in unbezahlbare Höhen schossen. Also zog die Familie ( ohne Michael, weil der inzwischen verheiratet war und selbst eine Mietwohnung in Broichweiden bezogen hatte) im Dezember 2002 in den stark renovierungsbedürftigen Altbau in Warden ein und zahlte ab da keine Miete mehr. Für die kommenden Jahre war somit für Arbeit gesorgt. An einem Altbau gibt es immer irgendetwas zu machen.

Daggi und ich besuchten ein Seminar zur Ausbildung von Pflegeeltern. In der Zeit zwischen 2004 und 2008 betreuten wir mehrere Pflegekinder in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt der Stadt Alsdorf.

Sozial engagierte ich mich als Kassierer beim örtlichen Fussballverein Eintracht Warden für 5 Jahre (von 2004 bis 2009).

Ich war immer noch wissbegierig und lernfreudig. Deshalb besuchte ich ein dreisemestriges Aufbaustudium „BWL für Techniker“ im Berufskolleg Stolberg.

Das Studiengebiet BWL faszinierte mich so sehr, dass ich anschließend auf die Fachschule für Betriebswirtschaft in Stolberg wechselte und dort ein sechssemestriges Studium mit der Berufsbezeichnung „Staatlich geprüfter Betriebswirt – Marketing –„ absolvierte und abschloss. Außerdem holte ich in der Fachschule den Abschluss „Fachabitur - Fachhochschulreife“ nach. Rückblickend bin ich mit meiner Leistung und der erhaltenen Anerkennung rundum zufrieden und bin besonders dem EBV sehr dankbar für sein Vertrauen in mich.

Persönlich möchte ich mich bei den beiden Vorgesetzten und Kollegen Hubert Kerschgens und Giancarlo Franzetti für ihre Unterstützung bedanken, bei meinem Obermeister Hermann Küppers und beim Ausbildungsleiter Franz Swoboda für ihre Geduld und auch für die manchmal nötige strenge Hand die aber immer gerecht war. Ohne die vier genannten Herren wäre mein Berufsleben ganz anders verlaufen.