Samstag, 9. April 2016

Kirmes im Dörp



                          Kirmes im Dörp.

                                                  


Den Traktor hört man schon bevor er da ist. Er schleppt einen bunt bemalten Anhänger auf die Gemeinschafts-wiese neben der Schule (zwischen heutigem Spielplatz und Schulhof). Von so einem Ereignis werden wir in unserem Spiel gerne gestört. Die Rangier-Fahrkünste des Traktorfahrers beobachten wir genau. Jetzt steigt er aus und hantiert an der Deichsel des Anhängers herum. Er dreht an einer Kurbel und danach legt er dreieckige Holzkeile vor die Reifen des Kirmeswagens. Dann fährt er mit dem Traktor weg.

Im laufe des Tages wiederholt sich dieser Vorgang noch einige male. Am abend stehen bereits 7 Kirmeswagen auf der Wiese. In unseren Verstecken in der Hagebuttenhecke warten wir bis Ruhe eingekehrt ist. Wir sammeln schon einmal die 10 Pfennigstücke zusammen. Dann geht Matthias rüber zu Mainz und wechselt das Geld in eine feste Mark. In einem unbeobachteten Augenblick ziehen wir aus dem Automaten bei Meier eine Packung Ernte. Jetzt ist Treffpunkt an der Rückseite des Schulgebäudes wo eine Treppe hinunter in den Keller führt. Wir gehen die Treppe hinunter bis zur Türe. Da unten starten wir unsere ersten Rauchversuche die regelmäßig mit Hustenanfällen und Schwindelgefühlen enden.

Anschließen kriechen wir unter die Kirmeswagen und schauen uns einmal an wie die von unten aussehen. Bei manchen Wagen kann man durch Löcher in der Plane oder durch Ritzen zwischen den Holzaufbauten Teile der Kir-mesgeräte sehen. Ketten-karussel und Raupenbahn sind schon mal klar.

Am nächsten Tag schauen wir alle beim Aufbauen zu. Mit und mit nehmen die Geräte Gestalt an. Es wird gehämmert, geschraubt und gezogen. Am Abend sieht man schon das Plateau des Kettenkarussels und die Holzaufbauten der Raupenbahn. Wir laufen zum Judenfriedhof. Auf der Bank werden die letzten Zigaretten geraucht.



Das Wochenende beginnt erst einmal mit Musik. Die Schützen marschieren mit Musikkapelle durch das Dorf.


Das ist immer eine Gaudi und wir Kinder begleiten den Zug durch das ganze Dorf. Mittags öffnet die Kirmes. Jetzt hört man in guter Lautstärke die Hit´s dieser Zeit. Ich nenne einmal ein paar Ohrwürmer.   Banjo Boy, Marina, Wir wollen niemals auseinander gehen, Moonlight, It´s now or never, Ich zähle täglich meine Sorgen, Die Liebe ist ein seltsames Spiel, Itsy Bitsy Teenie Weenie Honululu Strand-Bikini, Kalkutta liegt am Ganges.

An Kirmes gab es immer „schwaze Flaam un Riess“ (Pflaumenkuchen und Reisfladen). Außerdem war es gute Sitte an Kirmes alle Onkel, Tanten, Omas und Opas zu besuchen (wo sollte sonst das Kirmesgeld herkommen?). Beim Kirmesgeld kannte ich keine Gnade. Es wurde bis auf den letzten Groschen verpulvert. Natürlich für Raupenbahn und Kettenkarussel, aber auch für Zuckerwatte, Mandeln, Eis und Fritten.








Ach ja, und man hatte die Chance den Mädchen zu imponieren. Auf der Raupenbahn in Nähe der Kasse war an einer Schnur ein buntes Irgendetwas befestigt. Diese Teil hüpfte während der Fahrt über unseren Köpfen. Einer von den Kirmepittern zog an der Leine so das dieses Ding ständig in Bewegung war. Wer auf Zack war schaffte es das Ding während der Fahrt zu erwischen. Man konnte es dann an der Kasse abgeben und bekam dafür eine Freikarte. Auch konnte man sich an der Kasse einen Schlager für seine Angebetete wünschen. Lässig lehnte man danach am Geländer und suchte den erwünschten Blickkontakt.

Am letzten Tag wurde mit dem Restgeld noch die Schießbude leergeschossen oder Lose gekauft. Dann war die Kirmes auch schon wieder zu Ende.
Das nächste Ereignis war dann das Sportfest wo ein 3m hoher Holzpfahl mit Schmierseife eingeschmiert wurde. Oben an der Spitze hingen an einem Rad die Gewinne. Wer trotz Schmierseife den Pfahl hochklettern konnte hatte gute Chancen da oben einen tollen Gewinn abnehmen zu können. Aber davon mehr beim nächsten mal.


Freitag, 8. April 2016

Und täglich grüßt das Murmeltier



 Wenn sich alles wiederholt. Ein Morgen wie jeder andere.






 
Weit, weit entfernt kräht ein Hahn. Langsam etabliert das Unterbewußtsein einen unangenehmen Gedanken. Die Empfin-dungsstärke der Sinnesorgane steigt. Der schrille Ton des Weckers zerschneidet rücksichtslos die wunderbare Stille der Nacht. Reaktionsschnell findet seine Hand die Abstelltaste. Die wohltuende Wärme der beschützendenZwischenwelt wird radikal von der Realität verdrängt.
 

Es beginnt das Ritual der morgendlichen Unnatürlichkeiten. Der Mix aus elektrischem Licht, Rasierapparat, Warmwasser, Tuben-pasten, Schäumen, Sprays und Seifen bringt ihn in die Nähe der zur Zeit normierten gesellschaftsfähigen Akzeptanz. Jetzt darf er sich, zumindest äußerlich als ein Individuum fühlen.

In die Routine des Ankleidens brechen sich erste Gedanken in gewohnter Unordnung ihre Bahn. „leise sein, Frau und Kinder schlafen noch“, „was muss heute in der Firma erledigt werden?“, „verdammt, wo ist meine Armbanduhr?“, „ach ja, mein Schlüs-selbund steckt noch auf der Tür“. Es ist dunkel und kalt, als er das Haus verlässt. Bäume, Sträucher und Gebäude wirken eher düster und bedrohlich, jedoch das Zwitschern der Vögel und die Klarheit der Sterne öffnen auch die Tür der positiven Wahrnehmungen.

Das Motorengeräusch seines gestarteten Auto´s kommt ihm in der Garage unwirklich und übernatürlich laut vor. Rückwärts setzt er das Auto in Gang, fährt die Auffahrt herunter bis auf die Straße, legt den Vorwärtsgang ein und fährt davon.

Das Dorf schläft noch. Nur vereinzelte Lichter flimmern unwirklich in der Dunkelheit. Noch ist er nicht in der Realität angekommen. Das Fahren läuft eher automatisch ab und auch die Wegstrecke findet nicht die notwendige Aufmerksamkeit. Zäh aber mit steigender Intensität erwacht seine Wahrnehmung.

Wie oft hat sich dieser Ablauf in seinem Leben schon wiederholt und wie oft wird er sich noch wiederholen? Wozu ist das alles gut? Er fühlt sich wie in einer Schleife aus der es kein Entrinnen gibt. Er hat das unangenehme Gefühl, dass es nicht so läuft wie es laufen sollte. Er muss Dinge tun, für die er sich zwar grundsätzlich entschieden hat aber die nicht seinem derzeitigen Wollen entsprechen. Er nimmt sich vor seine Lage einmal grundsätzlich zu überdenken.

Im Zwielicht kann er einen Radfahrer schemenhaft erkennen. Weiter entfernt rückt die Betriebsbeleuchtung seiner Firma in sein Blickfeld. Kurz darauf fährt er auf den Parkplatz. Ein neuer Arbeitstag beginnt.

Verfasser: Alex Palm im April 2016