Montag, 19. September 2016

Komm doch mit strööfe. (Teil 3)






 Komm doch mit strööfe. (Teil 3)

Ein Bewegungsmuster innerhalb der Begau 1965 an einem Samstag.

„Komm wir gehen nach Meier. Ich glaube die kosten 5 Pfennig.“ Wie immer wird Matthias geschickt. Nach ein paar Minuten kommt er mit der Schachtel Streichhölzer zurück.



Wir laufen den Siedlerweg runter bis zur Litfassäule und setzen uns erst einmal auf die Bank. „Wo wollen wir es diesmal machen“?, kommt sofort die Frage von Peter. Matthias meint „ziemlich nahe beim Roten?“. „Ja das wird eine Riesenschau, stimmen alle zu.“ Wir gehen am Feld vorbei bis wir den Trampelpfad Richtung Wardener Sportplatz erreichen. Hier biegen wir in Richtung Warden ab. Unser Blick ist ständig nach links gerichtet. Wir beobachten ob sich an der alten Bretterbaracke irgendetwas bewegt, denn der Rote bringt es fertig und schießt mit seinem Luftgewehr zur Abschreckung. Das wäre nicht das Erste mal. Wir hüpfen nun alle in den Graben (das ist ein guter Sichtschutz). Etwa in der Mitte des Feldes zwischen Begau und Warden halten wir an und holen nun die Steichhölzer heraus. Das Spiel heißt „flämmen“.


 Wir versuchen das trockene Gras in der Böschung des Baches in Brand zu setzten. Das gelingt auch, jedoch nur mit sehr viel Qualm. Unser Beobachtungsposten hält weiter die Baracke und den Trampelpfad im Auge. Jetzt haben wir eine offen Flamme in der linken Seite der Böschung. Zeit zum Rückzug. Wir schleichen uns im Bachbett wieder zurück zum Trampelpfad der zum Judenfriedhof hinauf führt.








Weithin sichtbar sind nun die Rauchwolken die auf einer Strecke von jetzt fast 15 m über dem Bach stehen. Wir empfinden eine große Freude über die gelungene Aktion. Wir laufen nun alle zur roten Bank in der Graat. Hinter der Bank klettern wir durch das Gebüsch etwas hoch und können nun die Hütte des „Roten“ sehr gut beobachten. Aber unsere Freude wird gedämpft. Der Rote hat heute keine Lust auf Ärger oder er ist gar nicht zu Hause. Wir sind ein wenig enttäuscht über die nun doch misslungene Aktion.
Die Glocken läuten 12:00 Uhr. Wir sprechen uns ab, dass wir uns nach dem Mittagessen alle auf dem neuen Kinderspielplatz am Trafohäuschen treffen.


Da die Begau vor drei Jahren einen neuen Sportplatz bekommen hat kann ich nun nicht mehr über den Sportplatz nach Hause laufen. Zu diesem Zeitpunkt ist der Platz schon abgezäunt.

Am Nachmittag sind wieder alle da. Wir spielen eine zeitlang auf dem Kinderspielplatz und bauen eine große Sandburg. „Kommt einer mit in unseren Wald?“, fragt Norbert. Natürlich, alle kommen mit. So laufen wir dann die Ehrenstraße hoch bis zur Kirche und biegen dann links ab.


Schon geht das erste Spiel im Gebüsch zwischen den Bäumen los. Man hört eine hohe Stimme: „ Eckstein, Eckstein alles muss versteckt sein, hinter mir und vor mir gillet et nicht; eins, zwei, drei ich komme". Im Grüngürtel ist es muksmäuschen still. Keiner will sein Versteck verraten. Plötzlich hört man Stimmen: „Hab dich, du bist dran!“. Mit diesem Spiel verbringen wir den Nachmittag. Als um 18:00 Uhr die Glocken läuten fällt uns wieder auf wie nahe wir an der Kirche sind. Es ist verdammt laut. Nachdem das Läuten zu Ende ist verabschieden wir uns und ich gehe zusammen mit Matthias den Grüngürtel entlang bis zu Michaelstraße und anschließend durch die Gasse nach Hause.

Eine Bemerkung: So gebannt wie ich früher den Geschichten meines Opas gelauscht habe genauso hört mir heute mein Enkel zu. Er hat schon des öfteren traurig gesagt:“Ich wäre auch lieber in den Sechzigern Kind gewesen“. Ich kann das sehr gut verstehen. Ich bin kein Feind von Elektronik (Computer, Handy usw.) aber es ist klar, dass diese Geräte den Verbund, das Miteinander von Kindern zerstören. Eines ist auch klar. Wir „alten“ haben eine ganz besondere, wunderschöne Kindheit in der Begau erlebt.






Montag, 22. August 2016

Mein Arbeitsleben beim EBV und bei RWE



So war´s

- Ausbildung, Berufstätigkeit, Weiterbildung und Karriere beim EBV -







Vorgeschichte:
Endlich, die Pflichtschulzeit war vorbei und in meinem Kopf verfestigte sich der wohltuende Gedanke - nie mehr lernen -. Ein übermächtiges Gefühl von Erleichterung durchströmte meinen einfältigen Verstand. Durch diesen Schulabschluss hatte ich mir meine Freiheit erkämpft. Der gesellschaftlichen Zwang, der Druck von Eltern und Lehrern hatte endlich ein Ende. Ich hatte mehr schlecht als recht, insgeheim leidend, unter der Fremdbestimmtheit durch andere Menschen und Instanzen, dieses ungeliebte Zwangssystem absolviert.

Mit meinen 15 Jahren war ich mir völlig darüber im klaren, dass für mich auch in den nächsten drei Jahren noch nicht das Endstadium meiner Autonomie erreichbar war, aber ich lebte in dem Glauben, dass es schlimmer nicht kommen könne. Die Gesellschaft, die Kultur, die Arbeitswelt das gesamte soziale Gefüge wurden in diesem Jahr 1967 großen Veränderungen und Verwerfungen ausgesetzt.

Ich empfand mich in völliger Übereinstimmung mit den Forderungen unterschiedlichster Jugendgruppen nach mehr Freiheit, mehr Mitbestimmung, mehr Unabhängigkeit – kurz gesagt – nach umwälzenden Systemveränderungen.

Der Satz meines Erzeugers, „Ich habe dich für die Lehre zum Elektriker angemeldet ...., nächste Woche hast du einen Einstellungstest“, relativierte augenblicklich meine frisch erworbene Freiheit. Da die einmal gefällte Entscheidung meines Erzeugers unangreifbar war und weil ich mir selbst noch keine konkreten Gedanken zum weiteren Verlauf meines beruflichen Lebens gemacht hatte, war mir diese Entscheidung überhaupt nicht wichtig. Warum nicht......?, Ich konnte mir den Laden ja einmal unverbindlich ansehen. Die Ankündigung kam für mich nur etwas überraschend, da die Aufnahme der Lehre, bei bestandenem Test, bereits in zwei Wochen stattfinden sollte.

Rückblende:
Ich, Sohn eines Bergarbeiters, verbrachte meine Kindheit in einem kleinen Dorf im Landkreis Aachen, der Begau. Die ersten fünf Jahre lebte ich mit meinen Eltern im Haus der Großmutter mütterlicherseits, Oma Otti, in zwei Zimmern.

Im Frühjahr 1958 wurde direkt am Siedlerhaus der Großmutter ein Anbau errichtet mit Küche, Diele, Bad, Wohnzimmer, Schlafzimmer und einem Kinderzimmer. Im Spätsommer des Jahres erfolgte der "Umzug" in den neuen Anbau. Die Wohnsituation hatte sich schlagartig verbessert.

Mein Erzeuger entstammte einer Bergarbeiter-Familie deren Zusammensetzung für mich lange unklar war. Mein Erzeuger hatte noch 3 Geschwister, 2 Brüder und eine Schwester. Der jüngere Bruder und die Schwester waren wohl von einem anderen Mann gezeugt worden. Deshalb war auch die leibliche Mutter meines Erzeugers (Maria Elisabeth Kaldenbach) nicht mehr da, sondern eine Stiefmutter (Erna Tille) kümmerte sich um die Kinder.

Der Vater von meiner Mutter war nicht aus dem zweiten Weltkrieg zurückgekehrt und galt als vermisst. Meine Mutter hatte noch 6 Geschwister 4 Brüder und 2 Schwestern. Sie war das älteste Kind ihrer seit dem Kriege alleinerziehenden Mutter.

Unmittelbar nach meiner Geburt erkrankte meine Mutter an multibler Sklerose, einer schlimmen Nervenkrankheit. Beide Elternteile führten den Ausbruch dieser Krankheit auf meine Geburt zurück, so dass es im Beziehungsverhältnis zueinander bereits sehr frühzeitig unüberwindbare Störungen gab. Elternliebe sollte für mich zeitlebens ein Fremdwort bleiben. Ich spürte jeden Tag die Abneigung meiner „Eltern“. Ausschließlich durch Zwang wurden mir Verhaltensweisen anerzogen die dem Erziehungskatalog meiner Erziehungsberechtigen entsprachen. Zurechtweisungen, Drill und Zwang waren dabei vorherrschend. Lob, Anerkennung oder Dankbarkeit lernte ich nicht kennen. So war meine Kindheit einerseits ein Leidensweg mit überwiegend negativen Erfahrungen, andererseits führte diese Erziehungsmethode sehr schnell zur kritischen Betrachtung der Eltern und erzeugte sehr starke rebellische Gefühle in mir.

Während der Kindergartenzeit und auch während der Schulzeit fand ich vorwiegend bei meinen Großeltern und in der Gleichaltrigengruppe Zuspruch und Anerkennung.

Später, in der Ausbildung und im Beruf war es genau das Gleiche. Über die gesamte Kindheitsentwicklung bis zum Zeitpunkt der Pubertät und dem Eintritt in das Berufsleben hatten sich in mir Schritt für Schritt Hass- und Rachegefühle gegen meine Eltern aufgebaut.

Die psychische Belastung behinderte mich sehr bei meinen schulischen Leistungen. Zeitweise kam es mir vor, als würde eine große Hand auf meinem Kopf liegen und diesen zusammendrücken. Manchmal hatte ich das Gefühl - als wenn ich ein Brett vor dem Kopf trage – das Botschaften mich einfach nicht erreichen konnten. Ich konnte nur schwarz-weiß denken, Zwischentöne waren nicht vorhanden. Alle Überlegungen waren extrem, nie nuanciert.

Lange spielte ich meiner Umwelt den angepassten und unkomplizierten Jungen vor. In meinem Inneren jedoch war ich immer delinquent, unangepasst und widerspenstig. Kurz gesagt ich habe mich als Kind stets der elterlichen Gewalt gebeugt.

Jedoch erste Anzeichen der Selbstbestimmung konnte ich ab dem Jahr 1965 bemerken. Über die Jugendzeitschrift Bravo erreichten mich Informationen die ich in meinem Elternhaus nie bekommen hätte. Ab diesem Zeitpunkt entwickelte ich eigene Vorstellungen über Musik, Mode, Sport und Politik. Auch die Themengebieter Sexualität, Mädchen und Probleme der Pubertät wurden vom Dr. Sommer-Team sehr informativ beschrieben. Der Hass auf meine Eltern wurde zwar dadurch nicht gemindert aber aus einigen Leserbriefen konnte ich erkennen, dass es anderen Jugendlichen ähnlich erging.

Mit und mit nahm die Autorität, diese Unantastbarkeit der Eltern rapide ab und ich begann mit einer genauen Analyse meines Status Quo und begann meine zukünftigen Verhaltensweisen zu definieren, zu untermauern und mit meiner mir eigenen, extremen Sichtweise auch zu verteidigen. Das Sammeln und verfestigen von mir nützlichen Argumenten wurde zu meiner wichtigsten Beschäftigung. Durch absichtliche Provokationen versuchte ich bei Streitigkeiten die Wirkung meiner Argumentation in die gewünschte Richtung zu lenken. Dabei gab es Siege und Niederlagen aber immer auch brauchbare Erfahrungen.


Eintritt in das Berufsleben.

Nun war es also soweit. Der Eignungstest für die Ausbildung zum Starkstromelektriker fand in den Räumen der Bergbau-Berufsschule statt. Etwa 80 Jugendliche hatten sich an diesem Morgen im Foyer der Schule eingefunden. Manche standen in kleinen Gruppen zusammen – weil sie sich kannten – oder weil die Eltern mitgekommen waren. Andere, wie ich auch, hörten alleine der Begrüßung und den weiteren Ausführungen des Ausbildungsleiters zu.

Dann wurden durch namentlichen Aufruf mehrere Gruppen gebildet. Jeweils ein Ausbilder führte „seine“ Gruppe dann in den zugewiesenen Klassenraum. Die Aufgabenblätter wurden verteilt und kurz darauf begann der Test. Es waren z.B. im Bereich „Deutsch“ fehlerhafte Worte oder Satzzeichen in einem vorgegebenen Text zu unterstreichen. Im Bereich „Logik“ mussten verschiedene Figuren aus Einzelteilen zusammen gelegt werden. Im Bereich „Mathematik“ waren Zahlenkolonnen auf Richtigkeit zu überprüfen bzw. weiter zu führen. Zuletzt mussten noch einige Körper in räumlicher Darstellung gezeichnet werden. Das Ende des Testes kam schneller als erwartet, ich hatte noch nicht alle Aufgaben gelöst. Die Testbögen wurden eingesammelt und die Teilnehmer wurden von dem Ausbilder mit den Worten entlassen „wir werden Ihnen schnellstmöglich das Ergebnis des Testes mitteilen“. Noch in der gleichen Woche erhielt ich die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch.

Das von mir erzielte Testergebnis lag leicht über dem Durchschnitt und so erhielt ich einen Lehrvertrag und die Aufforderung mich am 1. Arbeitstag im August in der Ausbildungswerkstatt einzufinden.

Die Zwangsschiene für die nächsten 3,5 Jahre war somit gelegt. Einen Elektriker hatte ich in meinem Leben bis dahin noch nicht bei der Arbeit gesehen. Nun sollte aus mir ein Elektriker werden – sogar ein Starkstromelektriker -. Ich hatte keinerlei Vorstellung von der Arbeit, die ein Starkstromelektriker macht. Mathe und Physik waren während meiner Schulausbildung eher Fächer gegen die ich eine Abneigung hatte. Man kann sich vorstellen, dass ich nicht sonderlich begeistert war. Ich trat also total unmotiviert meine Lehre an.
Mit dem lauten Ton einer Dampfhupe begann und endete ab nun jeder Arbeitstag im Ausbildungszentrum des EBV. Im ersten Lehrjahr wurden nur Schlosserarbeiten wie feilen, sägen, bohren und schmieden durchgeführt. Einer großen Mehrheit der Lehrlinge – auch mir - war nicht klar wozu ein Elektriker solche Arbeiten verrichten musste. Ab dem zweiten Lehrjahr wurden die Lehrlinge in Gruppen von 3 bis 5 Personen zu verschiedenen Abteilungen Untertage wie Übertage auf verschiedenen Bergwerken verlegt und dort den jeweiligen Gesellen zugeteilt. Ab dieser Zeit wurde jedem klar, welche Arbeiten ein Starkstromelektriker im Bergbau zu verrichten hatte. Im Schwerpunkt waren dies Störungsbeseitigungen, Wartungen und Instandsetzungen an elektrischen Betriebsmitteln jeder Art. Von der Energieerzeugung über Steuerungen und Regelungen, Telephonie, Überwachungseinrichtungen zog sich dies bis zu den Antriebsmaschinen, Krananlagen, Aufzügen, Fördermaschinen und den speziellen, nur im Bergbau eingesetzten Sondermaschinen. Durch die ständig wechselnden Arbeitsplätze lernten wir viele Kollegen und Vorgesetzte im Unternehmen kennen. In der letzten Phase der Ausbildung wurden wir sowohl theoretisch (in der Berufschule, von Herrn Faust) als auch praktisch (im Ausbildungszentrum, von Herrn Swoboda) gut auf die Prüfung zum Starkstromelektriker vor der Industrie- und Handelskammer vorbereitet. Soviel zur täglichen Ausbildung, aber wie sah es in den Lehrlingen aus, was interessierte sie und was unternahmen sie nach Schichtende?

Aus dem Bereich Begau, Mariadorf und Eschweiler fuhren 5 Lehrlinge jeden Tag mit der Straßenbahn zum Denkmalplatz nach Alsdorf und gingen von dort zu Fuß – über die Betshäeck - bis zur Ausbildungsstätte kurz vor Alsdorf-Busch.

Bei diesen ca. 15 minütigen Wegen zur Ausbildungsstätte und wieder zurück zur Straßenbahn wurde natürlich hauptsächlich gequatscht. Da in diesem Jahr 1967 am Mariadorfer Dreieck eine Diskothek mit dem Namen „Studio Dreieck“ eröffnet wurde bestand nun auch die Möglichkeit sich in einem angenehmen Rahmen außerhalb der Arbeit zu treffen.

Die Jugendlichen die sich im Studio Dreieck trafen waren vorwiegend aus Mariadorf, Hoengen, Warden, Begau, Linden, Neusen, und Broicher Siedlung also dem näheren Umfeld. Es gab aber auch vereinzelte Jugendliche aus Eschweiler, Aldenhoven, Alsdorf, Merkstein oder Herzogenrath. Schnell bildeten sich verschiedene Cliquen. Die Clique der ich mich zugehörig fühlte bestand aus 3 Lehrlingen des EBV und drei Mitgliedern einer Beat-Band. Die Themen waren vorwiegend Musik, Gitarren, Mode, Mädchen und teilweise auch Politik, Schule und Ausbildung. Sehr starke Themen waren 1967 der Tod von Benno Ohnesorg und 1968 die Studentenunruhen in Berlin. Ebenfalls 1968 eröffnet in Warden der Tatersaal. Dort gab es Discomusik und es traten des öfteren auch Live-Bands auf. Musikalisch angesagt waren neben den Beatles und Rolling Stones auch die Kinks. Die Mode wechselte sehr schnell, aber immer im Sinne der Jugendlichen z.B. Schlaghosen, Blümchenhosen, grell farbene Hemden, besonders breit geschnittene Krawatten, Rüschenhemden, taillierte Hemden, Schuhe mir erhöhten Absätzen, Jeans, Lederjacken- und mäntel, Parka, Minirock, Midimode, Maximode, heiße Höschen, farbige Strumpfhosen usw. Bei den Mädchen war es den Jung´s wichtig, wie sie sich gaben, ob man mit ihnen ernsthaft reden konnte, Verschwiegenheit und Diskretion, der Musik- und Modegeschmack und wie verlässlich sie waren. Bei den Gitarren waren die absoluten Renner, Framus, Fender und Gibson, bei Gesangsanlagen und Gitarrenverstärkern Dynacord und bei den entsprechenden Geschäften Offelder und Rödiger. Die Themen Schule und Ausbildung gab es nur am Rande.

Im Elternhaus war das erste Thema, dass die Ausbildungsvergütung (der Lohn) natürlich an die Eltern ging. Mir wurde erklärt welche Kosten ich verursache. Das ging von Kohle, Wasser und Strom über die Nahrung, die Kleidung, die Fahrtkosten zur Arbeit, Bücher und Schulbedarf bis zu Einrichtungsgegenständen, deren Verschleiß und Neukauf so das am Ende das Geld gerade noch ausreiche mir ein natürlich karges Taschengeld zu zahlen. Kurz gesagt, das verdiente Geld war weg. Dieser Umstand förderte meine Motivation natürlich ins Unermessliche. Zumal zu meinen häuslichen Pflichten neben Kohlen schöppen, Holz hacken nun auch noch teilweise Gartenarbeit hinzukam.
Die Übergangsphase vom Kind zum Jugendlichen vollzieht sich schleichend. Es gibt nicht den Punkt oder die Sekunde an der es passiert. Das Kind welches in der Gefühlswelt noch eine große Rolle spielt und weiterhin auch immanent nachwirkt wird durch die körperliche Entwicklung aus dem Blickfeld genommen. Die seelisch geistige Entwicklung läuft aber nicht parallel und zeitgleich ab. Jedoch starke Veränderungen der Alltagsabläufe wie z.B. der Beginn der Lehre sind in dieser Zeit sehr bestimmend.



Die Zeit von der Jahresmitte 1967 bis zum Winter 1971 war für mich die wichtigste Zeit meines Lebens.

In diesen vier Jahren wurden alle Grundlagen für mein späteres Leben gelegt. Der wirksamste Schritt in dieser Zeit war die endgültige Loslösung von den Eltern, in keiner Facette wollte ich so werden wie sie. Meine Ziele waren Wärme (nicht Kälte), Toleranz (nicht Zwang), Verständnis (nicht Diktat), einbeziehen (nicht ausgrenzen), Wertschätzung (nicht Diffamierung), Anerkennung (nicht Abwertung), Offenheit (nicht Abschottung) und Ehrlichkeit (keine Heuchelei). Zugegeben, sehr idealistische Ziele jedoch zielführend für eine ganze Generation und deshalb auch erreichbar. Voraussetzung zur Erreichung dieser Ziele war eine völlige Umprogrammierung der anerzogenen Verhaltensweisen. Glücklicherweise vollzog sich genau in diesen Jahren ein enormer gesellschaftlicher Wandel in Deutschland bei dem diese Ziele eine große Rolle spielten. Das Motto von Willi Brandt „wir wollen mehr Demokratie wagen“ war keine Sprechblase sondern wurde mit und mit Realität. Provokationen gegen das verhasste Spießertum wie „Sex, Drugs and Rock n Roll“ waren dabei nur Mittel zum Zweck. Jedoch welche kraftvolle gesellschaftliche Wirkung die sexuelle Revolution und auch der Einfluss der Beatmusik haben würden war zu diesem Zeitpunkt nicht vorauszusehen. Weitere Ableger des gesellschaftlichen Wandels waren die Emanzipation der Frauen, neuartige Lebensentwürfe (z.B. Kommune I) oder die APO (außerparlamentarische Opposition).



Ein weiterer lebensentscheidender Schritt für mich war in dieser Zeit die Berufsausbildung mit dem letztlich „guten“ Abschluss zum Facharbeiter. Erstaunlich genug, da die Lehrjahre zu großen Teilen von Konflikten, Lustlosigkeit, Repressalien und Interesselosigkeit gekennzeichnet waren. Die Umprogrammierungen der Verhaltensweisen waren während der Ausbildung nicht gerade hilfreich. Der grenzenlose Freiheitsdrang erreichte innerhalb der hierarchisch geprägten Berufswelt sehr schnell seine Grenzen.



Unabdingbare Anforderungen wie Disziplin und Gehorsam standen in krassem Gegensatz zu meinem Lebensgefühl. Im Ergebnis kann man wohl sagen „ich schlängelte mich so durch“.Die Leistungen in der Berufschule waren selten besser als ausreichend. Die praktische Arbeit war mal interessant und manchmal auch öde. Beispielsweise hat das Verdrahten von Schützen und Hochspannungsschaltern oder Installations-arbeiten in Werkstätten mir wirklich Freude gemacht. Andererseits, drei Monate lang nur Motoren reinigen und streichen entsprach nicht meinem intellektuellen Anspruch. Die Arbeit auf anderen Zechen Unter- und Übertage war immer interessant. Dabei lernte ich eine Menge verschiedener Leute kennen. Die Beschäftigung innerhalb der Elektrohaupt-werkstatt war dagegen mehr von Routine und Kontrolle gekennzeichnet, was im Nachhinein gesehen auch dringend nötig war. Im Jahr 1971 standen dann die theoretische Prüfung vor der Industrie- und Handelskammer in Aachen und die praktische Prüfung in der Ausbildungsstätte des EBV an. Obwohl meine Leistungen im schulischen Bereich mit „ausreichend“ und im praktischen Bereich mit „befriedigend“ bewertet wurden schaffte ich die Facharbeiterprüfung theoretisch mit „befriedigend“ und praktisch sogar mit „gut“.

Mein Gefühl damals......

Einen schönen Gruß an alle Besserwisser.

Ich hab es euch gezeigt, ihr Pisser.


Der dritte lebenswichtige Schritt war der Größte. 1969 lernte ich ein 16-jähriges Mädchen kennen, Daggi. Es entwickelte sich eine Liebesbeziehung die durch vielfältige Widerstände und Anfeindungen immer fester wurde. Ich war von dem immer lustigen Teenager bezaubert. Noch nie in meinem Leben hatte ich einer Person soviel Liebe entgegen gebracht.

Mir wurde sehr schnell klar, dass dieses Mädchen meinem Traumbild einer jungen Frau in allen Facetten entsprach. Mit ihr konnte ich bei Spaziergängen stundenlang quatschen. Wir hatten zusammen Spaß in den Disco´s oder bei Feten. Uns verband das gleiche Lebensgefühl und die Vorstellung von Familie und einer gemeinsamen Zukunft. Nicht zuletzt sah Daggi verdammt gut aus und brauchte keinerlei Vergleich zu scheuen. Unsere Gefühle füreinander wuchsen ständig und festigten sich. Am Wochenende waren wir viel auf Achse, machten ausgedehnte Spaziergänge, waren auf Partys oder in der Disco. Wir konnten unsere Grundstimmungen voll ausleben, dazu gehörten die tolle Musik dieser Jahre, das Tanzen, jede Menge Albernheiten aber auch das gegenseitige Einstehen und absolute Verlässlichkeit. 1970 verbrachten wir (ohne Erlaubnis der Eltern) unseren ersten gemeinsamen Urlaub auf dem Campingplatz in Rurberg. Wir hatten kaum Geld aber das war auch nicht das Wichtigste. Die Tage in Rurberg waren eine völlig neue Erfahrung. Erstmals waren wir alleine auf uns gestellt, wir konnten uns den Tag einteilen wie wir es wollten und wir waren erstmals auch über Nacht zusammen. Auch wurde uns hier ganz klar bewusst, dass Sexualität zwar etwas schönes ist, aber nicht alles in einer Beziehung bedeutet. Erstmals habe ich hier daran gedacht dieses Mädchen zu heiraten. Mit dieser Superfrau wollte ich unbedingt eine Familie gründen und eigene Kinder haben.

Noch war nicht abzusehen wie eine gemeinsame Zukunft genau aussehen könnte aber eines war klar, egal wie, wir Beiden wollten zusammen bleiben. Unser Selbstvertrauen war genau so gigantisch wie unsere Liebe, unsere Naivität so groß wie unsere Selbstsicherheit und das Wissen, dass diese Entscheidung ein Leben lang tragen sollte. Beide hatten wir den Wunsch Kinder in die Welt zu setzen denen es gut gehen sollte. Für uns beide bedeuteten Kinder das höchste Glück, die größte Freude und schönste Erfüllung.

Die Zeichen standen also auf „gemeinsame Zukunft“. Deshalb war es nötig sich noch vor dem Beginn dieser Zukunft eine Übersicht über den Status Quo zu verschaffen. Wie passte die aktuelle Lebenslage z.B. in die Bedürfnispyramide von Herrn Maslow?

In diesen Jahren wurden unsere Grundbedürfnisse noch von den Elternhäusern abgedeckt. Unsere Sicherheitsbedürfnisse waren auch zum Teil erfüllt (wir gingen beide in die Lehre und würden sicherlich auch eine berufliche Zukunft haben). Allerdings fand ich es gar nicht so toll, dass meine Frau „arbeiten“ sollte. Mein Bild von Familie war anders, da war die Frau keine „Arbeitskraft“ sondern Mutter und Ehefrau. Wie sollte sich mein Kinderwunsch denn mit einer berufstätigen Frau erfüllen? Ich war sicher, dass Daggi im Grunde diese Einstellungen teilte. Unsere sozialen Bedürfnisse waren durch unsere Liebe zueinander, aber auch durch Freunde und letztendlich auch durch die Gruppenzugehörigkeit zur „rebellischen“ Jugend gedeckt. Alle „ICH Bedürfnisse“ wie Anerkennung, Autorität oder Geltung waren für uns nicht wichtig.

Wie bereits erwähnt schaffte ich den Berufsabschluss mit guten Leistungen. Leider?? schaffte Daggi die Prüfung zur Bürokauffrau nicht, aber das war für mich auch nicht wichtig da ich ja sowieso keine berufstätige Frau als Mutter unserer gemeinsamen Kinder haben wollte.

Lange Rede, kurzer Sinn. Wir waren uns einigermaßen über unsere Situation im klaren. Deshalb machte ich, in meiner unnachahmlichen, unbeholfenen Art meiner Angebeteten eine Art Heiratsantrag (na gut, es war wohl eher so eine Art „Feststellung“) die aber trotzdem, zu meiner großen Freude, auf eine positive Antwort traf. So heirateten wir am 12.11.1971 ganz unspektakulär und einfach. Die standesamtliche Zeremonie war für uns beide ausreichend. Eine kirchliche Trauung stand nie zur Debatte.

Ich hatte gerade ein halbes Jahr als Geselle gearbeitet da bekam ich den Einberufungsbescheid. Ab dem 2. Januar 1972 musste ich meinen Wehrdienst bei einem Schützenpanzer-Batallion in Nienburg an der Weser ableisten. Über diese Zeit könnte ich nun mehrere Seiten schreiben will es jedoch bei einigen Aspekten belassen.

Grausame Trennung von Daggi – Fremder unter Fremden – harter Drill – Absturz in Drogen – aber auch:

Bewältigung von Frustrationen - Ordnung lernen – mit Anpassungsdruck umgehen – Freude über das baldige Ende dieser Zeit.

Die größte Freude nach der Bundeswehrzeit war der Schwangerschaft von Daggi. Am 29.10.1973 wurde unser Sohn Michael geboren, ein absolutes Wunschkind. Die Geburt lief ohne Komplikationen ab und der Junge war gesund. Ab nun waren wir eine eigene kleine Familie. Unser Glück lässt sich nicht beschreiben.

Direkt nach der Bundeswehrzeit meldete ich mich auf meiner Arbeitsstelle zurück.

Es war ein fröhliches Wiedersehen mit den „alten“ Arbeitskollegen. Ich erfuhr, dass einer meiner Arbeitskollegen (Werner Callies) während meiner Bundeswehrzeit die Vorschule für die Weiterbildung zum Steiger besuchte. Er hatte mittlerweile die ersten beiden Semester der Vorschule schon geschafft. Ich sprach bei nächster Gelegenheit mit diesem Kollegen und erfuhr, dass noch Plätze in der Vorschule frei waren. Ich begann ernsthaft daran zu denken ebenfalls diese Weiterbildung zu machen. Mir war klar, dass ich als Starkstromelektriker mit dem geringen Einkommen keine großen Sprünge mit einer Familie machen können würde. Also meldete ich mich nach gründlicher Überlegung auf der Vorschule an. Ich stieg als Quereinsteiger im dritten Semster der zweijährigen Vorschule ein. Da alle anderen Mitschüler bereits 2 Semester absolviert hatten musste ich neben dem aktuellen Lehrstoff noch den Stoff der beiden ersten Semester nachholen. Dies gelang mir sehr gut und so kam es, dass ich nach einem Jahr mit den anderen Mitschülern den Antrag auf Aufnahme in die Bergschule stellen konnte.

Eintrag aus meinem Tagebuch

Ich bekomme Bescheid von der "Bergschule zu Aachen", dass ich in den 31. Elektrosteigerlehrgang aufgenommen wurde. Der Unterricht beginnt für mich am 9. September 1974. Damit wird das "beruflich" wichtigste Kapitel meines Lebens beginnen.

Ich schaue voller Zuversicht in die Zukunft. Ich will etwas lernen, zum ersten mal sagt mir keiner das ich es "muss".

Nicht nur plötzlicher Wissensdurst, sondern die Verantwortung für meine zukünftige Familie, sowie deren finanzielle Absicherung und der Konkurrenzkampf (intellektuell) mit meinem Arbeitskollegen sind die Hauptentscheidungskriterien für mich, die Laufbahn zum Steiger zu wagen

Berechnungen über die Höhe des Monatsverdienstes während meiner Bergschulzeit.

Mein letzter Lohn als Elektriker betrug Brutto 1695,28 DM. Dies entsprach einem Netto-Lohn von ca. 1130,20 DM.

Der Brutto-Schichtlohn lag bei 78,85 DM und somit bei einem Brutto- Stundenlohn von 9,85 DM in der Lohngruppe 8 der Elektriker.

Als Bergschüler wurde ich direkt in die Lohngruppe 10 eingestuft.

Dies entsprach der Lohngruppe eines Elektro-Vorarbeiters.

Da ich als Bergschüler wöchentlich nur zwei Schichten beim EBV verfuhr (drei Schichten Bergschule pro Woche), wurde für das Arbeitsamt ein wöchentlicher Brutto-Verdienst von 370 DM zugrunde gelegt. Dies bedeutete einen Brutto-Monatsverdienst von 1480 DM.

Das heißt ein Netto-Monatsverdienst von 987 DM. Dazu gerechnet wurde eine wöchentliche Unterstützung AFG vom Arbeitsamt in Höhe von Netto 125 DM, d.h. 500 DM Netto pro Monat hinzu.


Letztendlich ergab sich dann eine Monats-Netto-Verdienst von

987 DM EBV

+500 DM AFG vom Arbeitsamt

=1487 DM Netto-Verdienst.

Fazit:

Nur durch den Wechsel auf die Bergschule verdiente ich auf einen Schlag 357 DM Netto im Monat mehr. Dies entsprach einer Lohnerhöhung von ca. 31,6 %.

Der Wechsel zur Bergschule war somit finanziell gesehen, die lukrativste Entscheidung die ich bis dahin je in meinem Leben getroffen hatte.

Natürlich bewirkten diese Tatsachen einen unheimlichen Motiva-tionsschub. Das Unternehmen EBV gab mir eine Chance in seiner Elite-Gruppe und bezahlte dazu noch sehr gut.

Rückblickend waren die 6 Semester Bergschule zu Aachen eine schöne Zeit. Allerdings waren diese drei Jahre geprägt vom Lernen.

Zur Senkung der Kosten wurde eine Fahrgemeinschaft gegründet. Der Fahrgemeinschaft gehörten neben mir noch mein Vetter Josef Steffens und mein Freund und Arbeitskollege Werner Callies an.

Keiner dieser drei jungen Männer war während der Ausbildung durch besonders gute Leistungen aufgefallen, sie waren bisher eher mittelmäßige Schüler mit mittelmäßigen Arbeitsleistungen gewesen.

In der Bergschulzeit konnte ich mich deutlich von meinen Mitschülern absetzen. Schon bald gehörte ich zu den drei besten Schülern. In den Zeugnissen wurden mir durchweg gute Leistungen bescheinigt. Dieses sollte bis zum Ende der Bergschulzeit auch so bleiben. Ich machte den „zweitbesten“ Prüfungsabschluss in meinem Jahrgang, minimal besser war nur Willi Hamacher.


Mein Wunschbetrieb für eine Steigertätigkeit war die Grube Emil Mayrisch über Tage in Siersdorf.

Wenn es betrieblich möglich war, wurden die Wünsche der „neuen“ Steiger vom EBV berücksichtigt. Leider klappte dies bei mir vorerst nicht. Da in diesem Jahr 1977 die Zeche Carl Alexander in Baesweiler geschlossen wurde und ein Großteil der Belegschaft von Emil Mayrisch übernommen wurde, war keine Planstelle im Übertagebetrieb mehr frei.

Ich musste deshalb meine Steigertätigkeit als Angestellter in Alsdorf auf Anna 1 unter Tage beginnen. Das war nun gar nicht meine Welt. Unter Tage war mir in meiner Ausbildung und auch als Bergschüler schon immer ein Graus gewesen. Die elektrotechnische Betriebsausrüstung war mir viel zu speziell und auch die Tätigkeiten wie: Energiezüge vorfahren, Panzer- und Hobelsteuerungen einbauen, Kabel anlängen oder kürzen entsprachen nicht meinen Wunschvorstellungen. Nach 9 Monaten in dieser ungeliebten Tätigkeit hatte ich das Glück, dass einer der übernommenen Steiger auf Emil Mayrisch in die Rente ging. Als ich davon hörte bewarb ich mich erneut für die Stelle auf Emil Mayrsich „über Tage“ und konnte ab 2. Mai 1978 meine Wunschtätigkeit aufnehmen.

Endlich angekommen, die Mühen haben sich gelohnt – so lässt sich meine Gefühlslage beschreiben.

Warum war Emil Mayrsich „über Tage“ eigentlich ein so großer Wunsch?

Während meiner Ausbildungszeit und auch als Bergschüler war ich mehrere male dem Übertagebetrieb Emil Mayrisch zugeteilt. Dabei wurde ich in vielen Betriebsstellen eingesetzt z.B. auf der Bergehalde, in der Sieberei, in der Wäsche, auf dem Holzplatz, in den Betriebswerkstätten, im Kesselhaus und in der Gasanlage, in den Trakten I bis VII, im Relaisraum, im Magazin, auf der Fördermaschine oder an den Grubenlüftern. Bei diesen Einsätzen lernte ich mit und mit die komplette Belegschaft und die zuständigen Steiger des Übertagebetriebs kennen. Die Technik war sehr vielfältig und mit den Elektrikern verstand ich mich immer gut. In diesem Umfeld hat mir die Arbeit immer Spaß gemacht. Außerdem gab es hier einige Gesellen von denen man wirklich etwas lernen konnte und einen außergewöhnlichen Reviersteiger mit enormen Fachwissen.

Nun stand ich, am 2. Mai 1978, als 25-jähriger, vor meinen ehemaligen Gesellen (ca: 20 Mann) im Schaltraum „Wagenumlauf“ und wurde von den beiden Reviersteigern und dem Fahrsteiger des Elektrobetriebes als neuer Kollege und Vorgesetzter vorgestellt.

Ein halbes Jahr wurde ich in die betrieblichen Abläufe, Verant-wortlichkeiten, Zuständigkeiten und Verhaltensweisen für meine Steigertätigkeit eingewiesen.

Ich lernte dabei den Ablauf eines Arbeitstages genau kennen. Zum Verständnis hier ein Beispiel:

Fahrt zur Arbeit und Abstellen des Pkw auf dem Parkplatz. Umziehen im Steigerbad. Zusammen mit anderen Kollegen zum Steigerbüro gehen. 6:00 Uhr, kurze Frühbesprechung – Rapportbuch lesen, mit dem Kollegen der Nachtschicht sprechen, falls nötig Restarbeiten zur Erledigung notieren -. Mit dem Reviersteiger zur Elektrowerkstatt gehen und die Leute einteilen. Standardmäßig werden einige Betriebspunkte fest belegt, so z.B. je ein Mann für die Sieberei, Wäsche, Fördermaschine, Bergehalde, Magazin und 4 bis 5 Mann zum Energiebetrieb. Der Rest der Mannschaft wird für längerfristige Planarbeiten eingesetzt (meist Wartungs- oder In-standsetzungsarbeiten). Mit dem Reviersteiger zurückgehen zum Büro. Entweder besondere Aufträge des Reviersteigers erledigen oder planmäßige Arbeiten im eigenen Zuständigkeitsbereich. Diese planmäßigen Arbeiten durch den Steiger sind meist Sichtkontrollen und/oder Prüftätigkeiten die z.B. die Blitzschutzanlage, die Schutz-maßnahmen gegen Berührungsspannung, die Notaus-Abschaltungen, die Fahrtreppen oder Aufzüge, verschiedene Batterieanlagen, Meldeanlagen, Petersenspulen, Schreiberauswertungen oder auch TÜV-Mängelbeseitigung usw. betreffen. Außerdem muss der Steiger jeden belegten Arbeitsplatz innerhalb seiner Schicht zwei mal befahren. Die Pause wird zusammen mit den anderen Kollegen (auch vom Maschinenbetrieb) im Büro verbracht. Dabei kommen per Telefon weitere Aufträge und Störmeldungen zur Bearbeitung beim Steiger an. Im Schichtwechsel (zum Ende der Frühschicht) wieder kurze Besprechung, Eintrag von Informationen in das Rapportbuch und mit dem Kollegen der Mittagschicht sprechen. Zusammen zum Steigerbad gehen, duschen, umziehen, zum Parkplatz gehen und mit dem Pkw nach Hause fahren.

Ab Januar 1979 durfte ich dann meine „eigene“ Schicht übernehmen. In Mittag- oder Nachtschicht waren immer 2 Steiger und 4 Mitarbeiter für den störungsfreien Ablauf des Betriebes zuständig.

Ein Steiger und drei Mitarbeiter wurden in der Produktion (Sieberei, Wäsche, Fördermaschine) eingesetzt und ein Steiger mit einem Mitarbeiter (wenn nötig auch mehr) wurden zur Befahrung der Grubenlüfter und für Störungen im Energiebetrieb eingesetzt.

Einige Zeit wurde ich im Energiebetrieb eingesetzt, danach aber fest in der Produktion. Der Wechsel war im Normalfall 2*Frühschicht, 1*Mittagschicht und 1*Nachtschicht pro Monat. Dieser Ablauf sollte für die nächsten 9 Jahre mein Arbeitsleben bestimmen.

1984 wurde die Wäsche auf eine neue Technik (SPS) umgestellt. Ich war an dieser neuen Steuerungstechnik so sehr interessiert, dass ich mich freiwillig ein Jahr lang auf Nachtschicht meldete um mich so in Ruhe mit der neuen Technik beschäftigen zu können. Da die Nachtschicht „ruhiger“ war als die Frühschicht fand ich viel Zeit zur Erkundung dieser neuen Technik. Mit der Zeit eignete ich mir einiges an Wissen an (auch durch die Teilnahme an vielen SPS-Seminaren) und war bald auf einem gehobenen Wissensstand. Diese Tatsache blieb der Führung nicht verborgen und deshalb wurde mir ab 1985 der Verantwortungsbereich „Wäsche“ fest übertragen. 1986 erhielt ich den Auftrag, selbst eine Steuerung für die neue Flockungsanlage zu entwickeln. So verbrachte ich nun den größten Teil meiner Arbeitszeit mit der Planung und dem Zeichnen von Schalt-plänen und zusammen mit einem Mitarbeiter mit dem Bau der Steuerungsanlage. Am Ende des Jahres 1986 wurde die neue Anlage in Betrieb genommen. Weiterhin war ich in Bezug auf Technik und Funktionsweisen sehr interessiert. Mitte des Jahres 1986 bat mich der Fahrsteiger die Mitarbeiter in die neue SPS-Technik einzuweisen. Ich führte ab da die betriebsinterne Unterweisung der Elektriker in die neue Technik durch. Dazu hatte ich mir selbst ein Konzept erarbeitet und der Betrieb stellte mir eine Übungs-S5 zur Verfügung. An dieser Übungs-S5 konnten Störfälle simuliert und eine Störungssuche mit dem Programmiergerät durchgeführt werden. Diese praxisbezogene Art der Unterweisung kam bei den Mitarbeitern gut an, sparte Kosten und war flexibel (auf den Betrieb abgestimmt) zu handhaben.

Im November 1987 teilte der neue Betriebsführer Herr Müller mir mit, dass ich ab dem 2. Januar 1988 den Produktionsbetrieb der Elektroabteilung als Reviersteiger verantwortlich übernehmen soll. Hoffnungsvoll sah ich dem Ende des Jahres 1987 entgegen. Noch vor Weihnachten, am 8. Dezember 1987, erhielt ich die Ernennungsurkunde zum 1. Elektrosteiger und den Auftrag zur Revierführung des Elektrobetriebes. Ich kann nur schwer beschreiben welche Freude ich empfand aber es war einer der glücklichsten Momente in meinem Leben.

Am 2. Januar 1988 übernahm ich die Revierführung des Elektrobetriebes. Ich war damit der Vorgesetzte von 4 Steigern 8 Vorarbeitern und 31 Mitarbeitern und hatte selbst nur noch einen direkten Vorgesetzten nämlich den Fahrsteiger Giancarlo Franzetti, mit dem ich immer blendend ausgekommen bin. Als Reviersteiger war ich ab jetzt zuständig für die Errichtung, den Betrieb und die Wartung aller Anlagen des Elektro-, Energie- und Funktionsbetriebes, wobei die örtlichen und sachlichen Grenzen dem Organisations-, Stellenbesetzungs- und Dienstplan jeweils in der zuletzt gültigen Fassung zu entnehmen waren. Außerdem war ich zuständig für die lückenlose und eindeutige Abgrenzung der Aufgaben und Befugnisse meiner Mitarbeiter und für deren geordnete Zusammenarbeit.

Als Volksschüler hatte ich bis hierhin doch einiges erreicht. Im gesamten Familienumfeld (z.B. Opa, Vater, Onkel, Vettern) hatte es mit einer Ausnahme (ein Onkel der studiert hatte und nun Studienrat war) keiner beruflich soweit gebracht. Es gab zwar viele Handwerker (Schlosser, Maurer, Maschinist und Elektriker) in der Familie aber noch keinen der es bis in die Führungsetage geschafft hatte. Ich war stolz auf diese Leistung und fühlte mich gleichzeitig verpflichtet weiter an meiner Berufskarriere zu arbeiten. Mit meiner Ausbildung gab es nur noch eine Ebene die ich erreichen konnte und das war die Ebene des Leitenden, des AT-Angestellten, des Fahrsteigers. Die Tätigkeit des Fahrsteigers war ab sofort mein erklärtes Fernziel.

Doch zunächst musste ich mich in die Tätigkeiten des Reviersteigers einarbeiten. Ich war bereits seit Anfang meiner Aufsichtstätigkeit ein großer Verfechter des kooperativen Führungsstils. Deshalb nahm ich mir vor diesen Führungsstil in meinem Revier fest zu etablieren. Zur Förderung der zwischenmenschlichen Beziehungen lud ich als erstes alle Vorarbeiter zu einem gemeinsamen Kegelabend ein. Ziel dabei war es, die Kommunikation untereinander zu verbessern, sich besser kennen zu lernen und ein „Wir-Gefühl“ zu erzeugen. Im Rückblick darf ich behaupten, dass dieses Ziel erreicht wurde. Auf meine Vorarbeiter konnte ich mich immer verlassen. Durch eine lohnbezogene Leistungsprämie konnte ich der Anerkennung der Leistungen meiner Mitarbeiter Ausdruck verleihen. Ich fand mich rasch in der neuen Aufgabe zurecht. Mein Umgang mit Kollegen, Vorgesetzten und Mitarbeitern war freundschaftlich und produktiv. Für mich hätte es so noch mehrere Jahre weitergehen können. Jedoch durch einen Beschluss der Bundesregierung wurde das Ende des Steinkohlenbergbaus Ende 1987 eingeläutet. Die Stilllegung der Steinkohlenbergwerke im Aachener Bereich wurde fest beschlossen.

Meine Stimmung war nun auf dem Nullpunkt. Gerade jetzt, wo alles so gut lief kam das Aus. Nun ging es um existenzielle Fragen, die unbedingt geklärt werden mussten.

Zur Klärung der Zukunft wurde der Familienrat einberufen. So kam es, dass im Frühjahr 1991 Alex (39), Daggi (38), Micha (18) und Birgit (9) zusammen den „Fahrplan“ für die kommenden Jahre fest-

legten. Es gab einige Möglichkeiten z.B. VEGLA, eine Fahrsteigerstelle im Raum Hürth, Reviersteiger auf Sofia Jacoba oder eine einfache Steigerstelle bei Rheinbraun in Weisweiler. Niemand hatte große Lust jetzt wieder umzuziehen. Deshalb einigte sich die Familie nach ausgiebiger Diskussion, dass die Stelle als Steiger bei Rheinbraun wohl die beste Lösung sei.

Nach einem erfolgreichen Vorstellungsgespräch trat ich dann am 1. September 1991 meine neue Stelle als Steiger im Braunkohlenbergbau bei Rheinbraun in Weisweiler an.

Über die kommenden 12 Jahre im Tagebau Inden in der Abteilung Fördergeräte (Absetzer und Bagger) brauche ich nicht viele Worte zu verlieren. Meine Karriere wurde durch die Schließung der Bergbaubetriebe im Aachener Bereich abrupt gestoppt.

Dennoch bin ich letztendlich mit einem blauen Auge davon gekommen weil ich bereits im Jahr 2003 mit 51 Jahren in den Vorruhestand gehen konnte. Dies war zwar kein großer finanzieller Gewinn aber ein unschätzbar großer Zeitgewinn. Das Arbeitsleben war für mich nach 36 Jahren Berufstätigkeit für immer vorbei. Ab dem 1. August 2003 war ich nicht mehr „fremdbestimmt“ und konnte meine Zukunft ganz persönlich, abgestimmt auf meine Neigungen und Wünsche, planen und leben.

Womit habe ich diese geschenkte Zeit ausgefüllt.

Als klar wurde, das ich in den Vorruhestand versetzt würde, kauften Daggi und ich als erstes ein altes Haus in Alsdorf/Warden. Dies wurde auch deshalb nötig, weil die Mietpreise in unbezahlbare Höhen schossen. Also zog die Familie ( ohne Michael, weil der inzwischen verheiratet war und selbst eine Mietwohnung in Broichweiden bezogen hatte) im Dezember 2002 in den stark renovierungsbedürftigen Altbau in Warden ein und zahlte ab da keine Miete mehr. Für die kommenden Jahre war somit für Arbeit gesorgt. An einem Altbau gibt es immer irgendetwas zu machen.

Daggi und ich besuchten ein Seminar zur Ausbildung von Pflegeeltern. In der Zeit zwischen 2004 und 2008 betreuten wir mehrere Pflegekinder in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt der Stadt Alsdorf.

Sozial engagierte ich mich als Kassierer beim örtlichen Fussballverein Eintracht Warden für 5 Jahre (von 2004 bis 2009).

Ich war immer noch wissbegierig und lernfreudig. Deshalb besuchte ich ein dreisemestriges Aufbaustudium „BWL für Techniker“ im Berufskolleg Stolberg.

Das Studiengebiet BWL faszinierte mich so sehr, dass ich anschließend auf die Fachschule für Betriebswirtschaft in Stolberg wechselte und dort ein sechssemestriges Studium mit der Berufsbezeichnung „Staatlich geprüfter Betriebswirt – Marketing –„ absolvierte und abschloss. Außerdem holte ich in der Fachschule den Abschluss „Fachabitur - Fachhochschulreife“ nach. Rückblickend bin ich mit meiner Leistung und der erhaltenen Anerkennung rundum zufrieden und bin besonders dem EBV sehr dankbar für sein Vertrauen in mich.

Persönlich möchte ich mich bei den beiden Vorgesetzten und Kollegen Hubert Kerschgens und Giancarlo Franzetti für ihre Unterstützung bedanken, bei meinem Obermeister Hermann Küppers und beim Ausbildungsleiter Franz Swoboda für ihre Geduld und auch für die manchmal nötige strenge Hand die aber immer gerecht war. Ohne die vier genannten Herren wäre mein Berufsleben ganz anders verlaufen.






Samstag, 9. April 2016

Kirmes im Dörp



                          Kirmes im Dörp.

                                                  


Den Traktor hört man schon bevor er da ist. Er schleppt einen bunt bemalten Anhänger auf die Gemeinschafts-wiese neben der Schule (zwischen heutigem Spielplatz und Schulhof). Von so einem Ereignis werden wir in unserem Spiel gerne gestört. Die Rangier-Fahrkünste des Traktorfahrers beobachten wir genau. Jetzt steigt er aus und hantiert an der Deichsel des Anhängers herum. Er dreht an einer Kurbel und danach legt er dreieckige Holzkeile vor die Reifen des Kirmeswagens. Dann fährt er mit dem Traktor weg.

Im laufe des Tages wiederholt sich dieser Vorgang noch einige male. Am abend stehen bereits 7 Kirmeswagen auf der Wiese. In unseren Verstecken in der Hagebuttenhecke warten wir bis Ruhe eingekehrt ist. Wir sammeln schon einmal die 10 Pfennigstücke zusammen. Dann geht Matthias rüber zu Mainz und wechselt das Geld in eine feste Mark. In einem unbeobachteten Augenblick ziehen wir aus dem Automaten bei Meier eine Packung Ernte. Jetzt ist Treffpunkt an der Rückseite des Schulgebäudes wo eine Treppe hinunter in den Keller führt. Wir gehen die Treppe hinunter bis zur Türe. Da unten starten wir unsere ersten Rauchversuche die regelmäßig mit Hustenanfällen und Schwindelgefühlen enden.

Anschließen kriechen wir unter die Kirmeswagen und schauen uns einmal an wie die von unten aussehen. Bei manchen Wagen kann man durch Löcher in der Plane oder durch Ritzen zwischen den Holzaufbauten Teile der Kir-mesgeräte sehen. Ketten-karussel und Raupenbahn sind schon mal klar.

Am nächsten Tag schauen wir alle beim Aufbauen zu. Mit und mit nehmen die Geräte Gestalt an. Es wird gehämmert, geschraubt und gezogen. Am Abend sieht man schon das Plateau des Kettenkarussels und die Holzaufbauten der Raupenbahn. Wir laufen zum Judenfriedhof. Auf der Bank werden die letzten Zigaretten geraucht.



Das Wochenende beginnt erst einmal mit Musik. Die Schützen marschieren mit Musikkapelle durch das Dorf.


Das ist immer eine Gaudi und wir Kinder begleiten den Zug durch das ganze Dorf. Mittags öffnet die Kirmes. Jetzt hört man in guter Lautstärke die Hit´s dieser Zeit. Ich nenne einmal ein paar Ohrwürmer.   Banjo Boy, Marina, Wir wollen niemals auseinander gehen, Moonlight, It´s now or never, Ich zähle täglich meine Sorgen, Die Liebe ist ein seltsames Spiel, Itsy Bitsy Teenie Weenie Honululu Strand-Bikini, Kalkutta liegt am Ganges.

An Kirmes gab es immer „schwaze Flaam un Riess“ (Pflaumenkuchen und Reisfladen). Außerdem war es gute Sitte an Kirmes alle Onkel, Tanten, Omas und Opas zu besuchen (wo sollte sonst das Kirmesgeld herkommen?). Beim Kirmesgeld kannte ich keine Gnade. Es wurde bis auf den letzten Groschen verpulvert. Natürlich für Raupenbahn und Kettenkarussel, aber auch für Zuckerwatte, Mandeln, Eis und Fritten.








Ach ja, und man hatte die Chance den Mädchen zu imponieren. Auf der Raupenbahn in Nähe der Kasse war an einer Schnur ein buntes Irgendetwas befestigt. Diese Teil hüpfte während der Fahrt über unseren Köpfen. Einer von den Kirmepittern zog an der Leine so das dieses Ding ständig in Bewegung war. Wer auf Zack war schaffte es das Ding während der Fahrt zu erwischen. Man konnte es dann an der Kasse abgeben und bekam dafür eine Freikarte. Auch konnte man sich an der Kasse einen Schlager für seine Angebetete wünschen. Lässig lehnte man danach am Geländer und suchte den erwünschten Blickkontakt.

Am letzten Tag wurde mit dem Restgeld noch die Schießbude leergeschossen oder Lose gekauft. Dann war die Kirmes auch schon wieder zu Ende.
Das nächste Ereignis war dann das Sportfest wo ein 3m hoher Holzpfahl mit Schmierseife eingeschmiert wurde. Oben an der Spitze hingen an einem Rad die Gewinne. Wer trotz Schmierseife den Pfahl hochklettern konnte hatte gute Chancen da oben einen tollen Gewinn abnehmen zu können. Aber davon mehr beim nächsten mal.


Freitag, 8. April 2016

Und täglich grüßt das Murmeltier



 Wenn sich alles wiederholt. Ein Morgen wie jeder andere.






 
Weit, weit entfernt kräht ein Hahn. Langsam etabliert das Unterbewußtsein einen unangenehmen Gedanken. Die Empfin-dungsstärke der Sinnesorgane steigt. Der schrille Ton des Weckers zerschneidet rücksichtslos die wunderbare Stille der Nacht. Reaktionsschnell findet seine Hand die Abstelltaste. Die wohltuende Wärme der beschützendenZwischenwelt wird radikal von der Realität verdrängt.
 

Es beginnt das Ritual der morgendlichen Unnatürlichkeiten. Der Mix aus elektrischem Licht, Rasierapparat, Warmwasser, Tuben-pasten, Schäumen, Sprays und Seifen bringt ihn in die Nähe der zur Zeit normierten gesellschaftsfähigen Akzeptanz. Jetzt darf er sich, zumindest äußerlich als ein Individuum fühlen.

In die Routine des Ankleidens brechen sich erste Gedanken in gewohnter Unordnung ihre Bahn. „leise sein, Frau und Kinder schlafen noch“, „was muss heute in der Firma erledigt werden?“, „verdammt, wo ist meine Armbanduhr?“, „ach ja, mein Schlüs-selbund steckt noch auf der Tür“. Es ist dunkel und kalt, als er das Haus verlässt. Bäume, Sträucher und Gebäude wirken eher düster und bedrohlich, jedoch das Zwitschern der Vögel und die Klarheit der Sterne öffnen auch die Tür der positiven Wahrnehmungen.

Das Motorengeräusch seines gestarteten Auto´s kommt ihm in der Garage unwirklich und übernatürlich laut vor. Rückwärts setzt er das Auto in Gang, fährt die Auffahrt herunter bis auf die Straße, legt den Vorwärtsgang ein und fährt davon.

Das Dorf schläft noch. Nur vereinzelte Lichter flimmern unwirklich in der Dunkelheit. Noch ist er nicht in der Realität angekommen. Das Fahren läuft eher automatisch ab und auch die Wegstrecke findet nicht die notwendige Aufmerksamkeit. Zäh aber mit steigender Intensität erwacht seine Wahrnehmung.

Wie oft hat sich dieser Ablauf in seinem Leben schon wiederholt und wie oft wird er sich noch wiederholen? Wozu ist das alles gut? Er fühlt sich wie in einer Schleife aus der es kein Entrinnen gibt. Er hat das unangenehme Gefühl, dass es nicht so läuft wie es laufen sollte. Er muss Dinge tun, für die er sich zwar grundsätzlich entschieden hat aber die nicht seinem derzeitigen Wollen entsprechen. Er nimmt sich vor seine Lage einmal grundsätzlich zu überdenken.

Im Zwielicht kann er einen Radfahrer schemenhaft erkennen. Weiter entfernt rückt die Betriebsbeleuchtung seiner Firma in sein Blickfeld. Kurz darauf fährt er auf den Parkplatz. Ein neuer Arbeitstag beginnt.

Verfasser: Alex Palm im April 2016





Mittwoch, 10. Februar 2016

Ausschnitt aus meiner Autobiografie. Das Jahr 1967 zeigt die versponnen, radikalen Gedanken eines damals 15 jähringen Teenagers.




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Das Jahr, der schönsten Musik. Flower Power-Zeit. Make love, not war. Schlag-und Blümchen-Hosen. Aber auch das Jahr, welches meine politische Meinungsbildung für lange Zeit (vielleicht sogar für immer) bestimmen wird.





Es ist eines der kreativsten Beatles-Jahre. Mit folgenden Songs erfreuten sie die Jugend in diesem Jahr:

"Strawberry  fields forever", "Penny lane", "Sgt. Pepper", "With a little help from my friends", "Lucy in the sky", "A day in the Life", "All you need is love", "I am the walrus", "Hello, Goodbye", "The fool on the hill" und "Magical Mystery Tour"

Obwohl alle diese Lieder Meisterwerke ihrer Art sind, gefallen mir persönlich "All you need is love" und "Hello, Goodbye" am besten.

"All you need is love" ist praktisch der Song auf den die gesamte Flower-Power-Bewegung gewartet hat. Er trifft mitten ins Herz der beginnenden Hippie-Zeit. Die spielerischen Gegensätze in "Hello, Goodbye" zielen genau auf den Nerv der Jugend, dieses hin-und hergerissen sein zwischen Kind und Erwachsenem.

Auch die Rolling-Stones bleiben in diesem Jahr nicht untätig. Ihre Hits sind:
"She´s a rainbow", "Ruby tuesday", "Let´s spend the night together",  "We love you" und "2000 light years from home". Diese Lieder stehen den Beatles-Songs in nichts nach.

Besonders nahe geht mir das Lied "We love you", weil es direkt an uns Fans gerichtet ist. Die Schritte und die zufallende Kerkertür weisen auf eine kurze Inhaftierung der Rolling-Stones hin, wegen Rauschgift-Besitzes.

Arnold lane, See Emely play, Ich beginne mich für die Gruppe Pink Floyd zu interessieren. The WHO erfreuen uns mit: Pictures of Lily, I can see for miles und who are you. Hey Joe von Jimi Hendrix.

Disco Begau: Wüllenweber.   Am Dreieck wurde aus der Kneipe Kellenter eine neue Disco mit dem Namen Studio Dreieck gemacht.

Dieses Lokal soll für die nächsten 4 Jahre mein zweites Zuhause werden.

6 Tage Krieg Israel - Ägypten. Prof. Barnard verpflanzt ein Herz. Adenauer stirbt. Cassius Clay wegen Wehrdienstverweigerung für 5 Jahre in den Knast. Oswalt Kolle-Filme, sexuelle Aufklärung ohne Tabu´s.

Am 2 Juni wird bei einer Anti-Schah-Demo der Student Benno Ohnesorg von dem übereifrigen Kriminalobermeister der politischen Polizei, Karl-Heinz Kurras, in Berlin erschossen. 

Den schwerverletzten Benno versorgt als erste die Studentin Friederike Hausmann. Sie erinnert sich: " An diesem Abend war ich zunächst bei einer Veranstaltung der FU in Dahlem. Es sprach der Exil-Iraner Bahman Nirumand. Er erzählte vom Alltag unter der Diktatur des Schahs, von der Brutalität seiner Polizei, von Folter und Mord.


Am Ende der Veranstaltung wurde zur Demonstration gegen diesen Potentaten in seiner Phantasieuniform aufgerufen. Nirumand beendete unter tosendem Beifall seinen Vortrag".

"Viele Demonstranten, auch ich, fuhren nun mit der U-Bahn zur Oper. Bauzäune und Gitter machten es den Demonstranten unmöglich zur Oper vorzudringen. Nach einer Weile forderte die Polizei uns auf, den Gehsteig zu räumen. Kein Mensch folgte dieser Aufforderung. Plötzlich rissen die Polizisten die Bauzäune weg und schlugen auf alles ein, was ihnen in den Weg kam".

"Es brach eine unvorstellbare Panik aus. Die Polizisten kamen mit ihren Knüppeln hinter uns her. Ich rannte mit vielen anderen in die Krumme-Straße. Plötzlich sah ich jemanden vor mir liegen. Er war offensichtlich am Kopf verletzt, es rann Blut heraus. Ich leistete "Erste Hilfe" wurde jedoch dabei von zwei Polizisten weggerissen. Ich schrie die Polizisten an, sie sollen einen Krankenwagen holen".

"Der Krankenwagen kam dann auch ziemlich schnell. Um mich kümmerte sich keiner mehr, deshalb lief ich mit meinen blutverschmierten Händen weiter in Richtung Ku´damm. Ich stand völlig unter Schock. Auf dem Ku´damm traf ich mehrere Freunde. Ich erzählte ihnen was geschehen war".

"Als wir abends nach Hause kamen, fühlten wir uns wie Heimkehrer aus einer gefährlichen aber gerechten und edlen Mission. Jeder erzählte zigmal seine Erlebnisse, und immer größer wurden unsere Wut und unser Haß gegen dieses System".

"In den Nachrichten hieß es, ein Polizist sei erstochen worden. Erst spät in der Nacht wurde die Wahrheit zugegeben. Der junge Mann "Benno Ohnesorg" war von einem Polizisten erschossen worden. Sofort am nächsten morgen ging ich zum Republikanischen Club und stellte mich als Zeugin zur Verfügung."

Der für die Polizei zuständige Senatsrat Prill muß zugeben, daß er folgendes angekündigt hatte für den Fall, "wenn Studenten in der Stadt demonstrieren". Zitat: "Dann kriegen sie eins mit dem Knüppel über den Kopf, das ist dann ein gutes Übungsfeld für unsere Polizeibeamten".

Nach erfolgreicher Beendigung des "Knüppeleinsatzes" begann dann die Aktion mit dem Codenamen "Füchsejagen". Greiftrupps der Polizei, aber auch Beamte in Zivil und "persische Geheimdienstler" machten in den umliegende Straßen Jagd auf Menschen "die wie Studenten aussahen". Die Beamten waren äußerst erregt, da über Lautsprecher wiederholt die falsche Nachricht verbreitet wurde, Demonstranten hätten einen Polizisten erstochen.

Zitat des Mörders auf Staatsbefehl, Kriminalobermeister Karl-Heinz Kurras: "Nach einer Festnahme sah ich mich von Studenten umringt. Ich zog meine Pistole und entsicherte sie. Andere Uniformierte kamen mir zu Hilfe. Wir verfolgten gemeinsam einen nun in Panik flüchtenden Demonstranten, der durch sein aufgeregtes Verhalten vorher schon aufgefallen war. Wir stellten ihn und schlugen auf ihn ein, bis er am Boden lag. Ich hielt immer noch meine entsicherte Pistole in der Hand. Aus der Pistole löste sich ein Schuß, der den Überwältigten in den Kopf traf. Wir ließen den leblosen Körper auf dem Pflaster liegen und setzten wieder Fliehenden nach".

Benno Ohnesorg, 26 Jahre alt. Student der Germanistik und Romanistik, engagierter Christ und Pazifist, starb kurz nach der Einlieferung in das Krankenhaus an der Schußverletzung.

Am 3. Juni verbreitet der regierende Bürgermeister von Berlin, der Sozialde-mokrat und Pastor, Heinrich Albertz: "Die Geduld der Stadt ist am Ende". Noch am selben Tag werden Schnellgerichte eingerichtet und ein gene-relles Demonstrationsverbot erlassen. Die Berliner Regierung reagiert auf eine Demonstration wie die Militär-Junta einer Bananenrepublik. Nicht die radikalen Studenten, sondern der Berliner Senat wird zu einer Bedrohung für die Verfassung.

Auf Druck der Öffentlichkeit muß Heinrich Albertz schließlich zurücktreten. Zitat: "Ich gestehe ein, daß ich am schwächsten war, als ich am härtesten gehandelt habe". Einige Tage später erlebt man in Heinrich Albertz einen Mann, der über sich selbst geschockt ist. Er kann es kaum fassen, wie ihn seine Blindheit und seine Macht um jegliche Vernunft und Gewissen gebracht hatten.



Sein Nachfolger, der schwerversehrte, immer noch schneidige Frontsoldat und Sozialdemokrat Klaus Schütz, ist frei von solchen Skrupeln. Im Chor mit der Springer-Presse eskaliert er die "Kampagne gegen die Studenten" bis zur Progromhetze. Er erklärte den "anständigen Berlinern" :" die staatsfeindlichen Studenten sind schon an ihrem Äußeren zu erkennen. Ihr müßt ihnen genau ins Gesicht sehen. An ihren langen Haaren erkennt man diese rebellische Generation".

Nachdem einige "vernünftige Berliner" vorbeiziehenden Demonstranten "Arbeitslager und KZ" wünschten, rief eine verzweifelte Studentin: "Ihr könnt mit denen nicht reden, das ist die Generation von Auschwitz". Die Studentin ist Gudrun Ensslin, sie gehört später zu den Gründungsmitgliedern der RAF.







Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin



Der Bezug zu Berlin ist für mich sehr eng, da ich mich einmal mit den Ansichten der Studenten voll solidarisiere und ich außerdem im April meine Hauptschul-Abschlußfahrt ausgerechnet in Berlin verbracht habe. Jedenfalls kann ich die Wut der Studenten und ihren Haß auf diesen totalitären Polizeistaat sehr gut nachempfinden.

Nach der Erschießung von Benno Ohnesorg beginnt in Berlin die Revolte der Studenten. Rudi Dutschke wird zur Symbolfigur des Protestes gegen die selbstgerechte Moral der Kriegsgeneration. Medien und Politiker reagieren panisch.

Weitere Anlässe zum Protest liefern der Krieg in Vietnam und die längst überfällige Hochschulreform. Die Studenten werden von Wasserwerfern auseinandergetrieben. Mit gesetzwidrigen Maßnahmen wollen die Regierenden das Demonstrieren verbieten. Die Blätter des Springer-Verlages schüren "Bürgerkriegsstimmung".

Das neue Lebensgefühl

Aufmüpfig und angepasst,
nachdenklich und lebensfroh
mal geliebt und mal gehasst,
außer Norm ja sowieso.

Revoluzzer und auch Spinner
ohne jede Religion,
mal Verlierer mal Gewinner
verachtet und selbst voller Hohn.

Ehrgeizig und tolerant
stur geradeaus zum Ziel,
mit dem Kopf auch durch die Wand
Erfahrung sammeln heißt das Spiel.

Was ist denn der Sinn des Lebens?
Diese Frage ist nicht neu.
Viele suchen oft vergebens
die Stecknadel in all dem Heu.

Die Antwort liegt in der Erfahrung
deiner Wünsche hier auf Erden.
Erinnerung   -   ist Offenbarung
und lässt dein Leben sinnvoll werden.

Du selbst erschaffst dir dann das Leben
in dem dein Körper fühlen soll
wonach deine Wünsche streben
und das ist einfach wundervoll.



Die "Kommune 1" lehrt die "anständigen Deutschen" das Gruseln. Die angeblichen Bombenleger lassen sich nackt ablichten, stören mit harmlosen Späßen öffentliche Zeremonien und versuchen den kollektiven Beischlaf. Der Sex-Sozialismus scheitert, als Rainer Langhans das Fotomodell Uschi Obermaier nicht mit den Genossen teilt.




Für mich war dieses Ende des "Sex-Sozialismus" klar, der Spruch "wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment" ist für mich genauso menschenverachtend wie dieses System.
Die Medien laufen Amok gegen diesen Hort der Unanständigkeit. Wo angeblich hemmungsloser Sex ist, da vermutet man auch mörderische Gewalt. Blindheit und Opportunismus der Macht, bringen den Staat und die "braven Deutschen" um Vernunft und Gewissen.

Die Bild-Zeitung titelt: "Vergast Rudi Dutschke".



Am 11 April 1968 wird sich dieser Wunsch, auf eine andere Weise erfüllen. Dutschke wird dann niedergeschossen. Der Attentäter hatte die Verteufelungen der Bild-Zeitung ernst genommen. Die Studenten werden mit weiteren Protesten gegen den Springer-Konzern antworten, doch dazu mehr im Jahre 1968.

Am 12 Juli werde ich mit 9. Schuljahr Volksschulabschluß aus der katholischen Volksschule Marienstraße entlassen. Notenschnitt. 3,06 also glattes "befriedigend". Allerdings ist die 5 in Physik die Quittung für mein Desinteresse und gleichzeitig der Beweis für die Unfähigkeit der Lehrer uns etwas beibringen zu können. Dies wird gerade an meinem späteren Berufs-weg überdeutlich.

Abschließende Betrachtung:

In der Volksschule Begau haben wir einige Dinge gelernt die für das Leben wichtig sein mögen. Die pädagogischen Fähigkeiten des Lehrpersonals stufe ich trotzdem eher als „schlecht“ ein. Es wurde noch viel geschlagen und auch sonst hielt der Strafkatalog viele Möglichkeiten bereit. Deutlich waren bei einigen noch die alten NS-Verhaltensweisen zu erkennen. Es empfiehlt sich die Geschichte abzuhaken und schnell zu vergessen.



Mein Vater eröffnet mir, daß ich ab August eine Lehre zum Starkstromelek-triker beim EBV beginnen muss. Er hat dies, als guter Demokrat, einfach über meinen Kopf weg entschieden. Eigentlich ist es mir scheißegal was ich im Anschluß an die Schule machen werde, ich habe keine besonderen Nei-gungen, deshalb lasse ich diesen Zwang, in einen nicht von mir ausdrücklich gewünschten Beruf gedrängt zu werden, ohne großes Murren zu.

Ob diese Wahl richtig ist, bei meinen Voraussetzungen (5 in Physik, 4 in Mathe) muß die Zukunft zeigen.



Am 1. August fange ich mit der Lehre zum Starkstromelektriker beim EBV in Alsdorf an.

Die Ausbildung beim EBV bringt für mich (einmal von den Lerninhalten abgesehen) nichts neues.

Die Erziehungsstrukturen sind, wie zu Hause auch, faschistisch geprägt und in der Gewaltausübung hierarchisch verpackt.

Im großen und ganzen hat man das Maul zu halten und sich in allem unter-zuordnen. Die Leistungszwänge werden bewußt auf ein Maximum geschraubt um uns zu beschäftigen und ruhig zuhalten. Die preußischen Tugenden werden wie zu Hause auch akribisch eingehalten und bei Nichteinhaltung je nach Willkür mehr oder weniger bestraft.

Durch diese spiegelbildlichen Gegebenheiten der autoritären Formierung zwischen Heim und Arbeit, fällt mir der Anpassungsprozeß zunächst nicht allzuschwer, jedoch die Arbeit ist für mich ohne erkennbaren Sinn, da Kreativität und Eigeninitiative nicht gewünscht, sondern sogar untergraben wer-den.

Zu allem Unglück, setzt sich die religiöse Erziehung auch in der Berufsschule fort. Obwohl laut Grundgesetz die Religionsfreiheit- und wahl gewährt ist, versucht die abendländisch-christliche Gesellschaft uns nun sogar im Beruf zu bevormunden.

Mit welcher Freude ich meine Ausbildung anfange, sei an diesen wenigen Punkten erläutert.

Positiv an der ganzen Sache ist nur, daß ich mit meinen Einstellungen nicht alleine bin. Abgesehen von ein paar Zwangsangepaßten empfindet die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen genauso wie ich. Diese gemein-samen Ansichten werden außerhalb des Machtbereiches aller Erziehungs-systeme, abends in der Disco, vertieft. Es bilden sich Cliquen in denen die Themen: Erziehung, politische- und gesellschaftliche Neuordnung, sexuelle Befreiung und die Studentenrevolte heiß diskutiert werden.

Für mich ist dies eine völlig neue Erfahrung. Man respektiert den Anderen und nimmt ihn ernst. Die andere neue Erfahrung die ich in der Disco mache ist, man kann tollen Spaß zusammen haben, weil die gesellschaftlichen Zwänge in der Disco nicht existieren. Die Welt, die wir Jugendliche uns hier bilden, ist frei von Machtdenken, Zwängen und Kontrollen. Soweit niemand zu Schaden kommt, ist eigentlich alles erlaubt. Das beste ist, die Erwachsenen trauen sich hier nicht hin.  



 Make love, not war!   Die Gentlemen bitten zur Kasse. Studentenslogan. Unter den Talaren, der Muff von 1000 Jahren. Che Guevara wird in Bolivien von Truppen erschossen. Er wird zum Symbol und Leitfigur für die revoltierende Jugend.

In der Öffentlichkeit werden Gammler in Haltung und Kleidung lebendiger Protest. Ungepflegt und teilweise heruntergekommen, stören sie das bürgerliche Sauberkeitsempfinden. Ihr langes Haar attackiert das Image vom männlichen Mann mit Familie, Haus, Besitz und Erfolg. Die Gammler provozieren Bürger und Bürgerlichkeit, indem sie einfach als ihr Gegenbild existieren, ohne Arbeit und Autorität, bettelnd und parasitär, von den Abfällen der kritisierten Leistungsgesellschaft lebend, faul, unsauber, unor-dentlich, ohne feste Bindung und klare Richtung.

Obwohl ich mich mit diesen Ansichten nicht ganz identifizieren kann,  (die Voraussetzungen hätte ich, ich besitze auch nur eine Hose) finde ich diese Form des Protestes gut.

Meiner Ansicht nach liegt eine neue Form des Lebensgefühl´s zwischen den Extremen des spießigen Bürgertums und der Lebensweise der Gammler.

Die drop-out- Bewegung der Hippies, mit ihrem missionarischen Eifer, "alle willigen Menschen zu gleichem Tun zu bewegen, und der Wille, der negativen Welt ein positives Gegenbild vorzuführen" gefällt mir da schon besser.

In einer Welt, in der nur noch äußerliche, materielle Dinge wie Geld und Status-Symbole zu zählen scheinen, sucht der Hippie das "Authentische" des Menschen, sein Selbst, seine Identität. An der Spitze seiner Werte-hierarchie steht die Liebe.

Dieser Begriff der Liebe ist nicht egozentrisch ausgerichtet, sondern zielt auf eine antiautoritäre und enthierarchisierte Welt- und Wertordnung, ohne Klassenunterschiede, Leistungsnormen, Unterdrückung, Grausamkeit und Krieg.

Mit diesen Ansichten der "Blumenkinder" kann ich mich noch am besten identifizieren. Nachdem ich von Oma Otti mit dem entsprechenden Outfit ausgerüstet wurde (Schlaghose, Rüschen-Hemd, Brokat-Krawatte) sehe ich zum erstenmal mit froher Erwartung in die Zukunft.

Meine Einstellung und mein Äußeres sowie meine Gefühle und Bedürfnisse befinden sich im Einklang, in Übereinstimmung, dies gibt mir erstmals das Gefühl von Autonomie.

Die Herausbildung des gegenkulturellen Protests gegen die industrielle Leistungs- und Konsumgesellschaft ist an einen immanenten Widerspruch kapitalistischer Vergesellschaftung gebunden;

Sie ist einerseits von Selbstdisziplin, Pflichtbewußtsein und Leistungsbereit-schaft abhängig, untergräbt andererseits - in beschleunigtem Maße - die soziokulturelle Basis dieser traditionell-bürgerlichen Tugenden. Das liegt zum einen darin begründet, daß sie im Maß der fortschreitenden Industrialisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse die überkommenen Lebensformen, Moral und Glaubensvorstellungen umwälzt und in ihrer Geltung erschüttert; das liegt zum anderen an der mit der Mechanisierung und Automatisierung der Produktion verbundenen Sinnentleerung der Arbeit, mehr noch und komplementär dazu an der Aufwertung des Konsums.

Die von der Konsumgesellschaft, von der Werbung stimulierten Bedürfnisse nach Liebe, Zärtlichkeit, Sexualität, Anerkennung, Freiheit, Abenteuer treten in sichtbaren und fühlbaren Widerspruch zur langweilig-spießbürgerlichen Routine von Arbeit und Familie, zum "puritanischen" Pflicht- und Leistungsethos, zur moralinsauren Tugend des Verzichts und des Gehorsams.

Ihren ersten und unmittelbarsten Austausch findet diese widersprüchliche Erfahrungs- und Sozialisationslage im Rock´n Roll, in der neuen Musik der Beatles und Rolling-Stones und einer ganzen schnellebigen Generation von Rock-Stars und Rockbands.

Der Rock´n Roll bezeichnet den Beginn der Revolution. Die Beatles stehen dabei nur für eine Variante der Rebellion.

Eine härtere Variante des subkulturellen Protestes sind die, den Werten aus dem Arbeitermilieu - aggressive Männlichkeit, Härte, körperliche Direktheit - verpflichteten Subkulturen, so vor allem die Rocker.

Diese armen, falsch erzogenen Menschen (die den Schritt zur Autonomie nicht geschafft haben) wollen auf der allgemeinen Rebellionswelle nur die von ihren Eltern anerzogenen faschistischen Gefühle ausleben, straff organisiert mit einem Führer und ausschließlich der Gewalt verschrieben.  Jedoch können diese Rocker relativ leicht kriminalisiert werden und bleiben damit politisch folgenlos.

All diese Überlegungen drückt der Song "Wild Thing"  (wilde Gedanken) von der englischen Rockgruppe "The Troggs" gut aus.

Chart´s 1967

         1. Frag nur dein Herz                       Roy Black
     2. Meine Liebe zu dir                        Roy Black
     3. Ha, Ha said the clown                    Manfred Mann
     4. Puppet´s on a string                    Sandie Shaw
     5. San Franzisco                              Scott Mc Kenzie
         6. Penny Lane                             Beatles
            7. Okay                                  Dave Dee
         8. Ich sprenge alle Ketten                    Ricky Shayne
     9. Dear Mrs. Applebee                     David Garrick
         10. All you need is love                      Beatles


Deutscher Fussballmeister in der Saison 1966/67 Eintracht Braunschweig.