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Das
Jahr großer Nachdenklichkeit und erste Versuche einer eigenständigen
Meinungsbildung.
Das
Schreibmaschinen-Üben kostet mehr von meiner Freizeit als ich erwartet habe.
Natürlich achtet besonders mein Vater darauf, dass das tägliche Pensum, strikt
erreicht wird. Mit der Zeit, finde ich dieses verdammte Üben überhaupt nicht
mehr lustig, bin aber gezwungen durchzuhalten, was in der Pubertät ganz
bestimmt nicht einfach ist.
Aus
heutiger Sicht muß ich sagen, daß dieser Kurs mir sehr viel gebracht hat und
das ich meinem Vater dankbar bin, daß er so penibel auf die Einhaltung der
Übungen geachtet hat. Für mich selber ist die Arbeit an der Schreibmaschine
ein absoluter Lernerfolg. Ich registriere ganz bewusst, "wenn man sich
voll in eine Sache reinkniet, kann man viel erreichen" auch wenn der
Weg mühsam ist.
Wichtig
an der ganzen Sache ist, dass ich nicht alleine gelassen werde sondern mein
Vater selber mitlernt. Diese Tatsache stellt uns auf die gleiche Stufe und
fördert natürlich meine Motivation, da soetwas stattfindet wie ein Wettkampf.
Zum ersten male setzt sich ein Elternteil zumindest auf einem Teilgebiet, zu
gleichen Bedingungen, mit mir auseinander. Mein Ziel ist es natürlich, besser
zu sein als er und am Ende bin ich das auch.
Am
31. März steige ich in das 7. Schuljahr. Notendurchschnitt 2,8
Durch
den Schreibmaschinen-Kurs, den Fußball-Verein, sowie die tolle Beat-Musik
bleibt mir zunächst nur wenig Zeit zum Nachdenken über die gesellschaftlichen
und religiösen Probleme.
Im
Sommer fahre ich mit der DJK wieder in ein Zeltlager. Diesmal zelten wir in
Brodenbach an der Mosel. Auch dieses Zeltlager habe ich in guter Erinnerung.
Ich bin unter gleichgesinnten, und wir haben alle eine tolle Zeit. Das
allerwichtigste im Zeltlager sind jedoch die mitgenommenen Kofferradios.
Es
entgeht uns kein einziger Beatles-Song.
Fast
alle fünf Wochen kommt ein neues Lied der Beatles raus. 1965 sind dies Ticket to ride, Yesterday, Help, You´ve got to hide your
love away, We can work it out, Day tripper, Drive my car, Norwegian wood,
Michelle, Girl, In my live und als absoluter Höhepunkt "Nowhere man".
Als ich in der
BRAVO die Übersetzung lese, haut es mich aus den Socken. Besser als in diesem
Lied, kann man meine persönliche Situation überhaupt nicht beschreiben.
Dieser
Text jagt mir in Schauern den Rücken herunter. Die Beatles kennen mich
überhaupt nicht, wieso treffen sie dann so genau meine Situation? Es
kann nur eine Erklärung dafür geben, den Jung´s geht es genauso wie mir,
nein großen Teilen der Jugend geht es genauso wie mir.
Was sind so banale Dinge wie "die Glocke",
"Nis-Randers" oder "Herr von Ribbek" gegen die Wahrheit in
diesem Text. Die ganze Lyrik der alten Poeten und Dichter hat mir bis jetzt
überhauptnichts gebracht, und jetzt kommen diese angeblichen
"Affen-Musiker" daher und bringen mir mehr, als alle Schulweisheiten
es bis jetzt konnten. Das ist für mich echte Lebenshilfe die bei mir zu einer
völligen Solidarisierung mit diesen 4 jungen Männern führt.
Wie ein Besessener sammele ich ab jetzt jede Äußerung,
Story, Bilder, Texte eigentlich alles was nur im entferntesten mit den Beatles
zu tuen hat. Die Wände in meinem Zimmer sind bald mit Bildern und Berichten
über die Beatles zugehängt. Als nächstes Ziel muß ich unbedingt, zum Zeichen
meiner Verbundenheit mit den Beatles und zur Demonstration mit allen
Gleichge-sinnten, meine Haare länger wachsen lassen und sie in Form der
"Pilzköpfe" frisieren.
Jedoch
da, spielen meine Eltern überhaupt nicht mit. Es kommt mehrmals zu regelrechten
Auseinandersetzungen mit den Eltern, wegen der Haare. Noch füge ich mich der
elterlichen Gewalt, jedoch ist die Verhaltensweise meiner Eltern für mich
absolut unverständlich denn ihre Argumente erscheinen mir nur kleinbürgerlich
und spießig.
Dieses
Unverständnis kettet mich nur noch fester an meine Idole und entfremdet mich
meinen Eltern für alle Zeiten, denn eines steht für mich ab sofort fest, die
Beatles sind für mich die weitaus besseren Eltern.
Durch
die Intoleranz und die Unnachgiebigkeit sowohl der Eltern als auch der Jugend
soll in den nächsten Jahren ein Generationskonflikt in deutschen Familien
ausbrechen, wie es ihn bisher in dieser Stärke noch nie gegeben hat.
Die
extremen Standpunkte beider Seiten gipfeln 1968 in Studentenunruhen, sexueller
Revolution und für die Jugend in einem absolut neuen Lebensgefühl.
Im
Halbjahres-Zeugnis am 23. 10 erreiche ich einen Notendurchschnitt von immerhin
noch 2,9 trotz aller Probleme.
24.
Januar, Winston Churchill stirbt im Alter von 90 Jahren.
Kanzler
Ludwig Erhard geht als "Vater der Wirtschaftswunders" in den
Bundestagswahlkampf.
14.
März, in Deutschland kommt Karate in Mode.
18.
März, als erster Mensch, schwebt der Russe Alexej Leonow frei
im All, nur eine Fangleine verbindet ihn
mit dem Raumschiff.
25.
Juli, Bob Dylan gilt als Begründer des Folk-Rocks. Seine Pro-
testsongs gegen das Establishment
sprechen unserer Generation
aus der Seele.
19.
September, SPD-Spitzenkandidat Willy Brandt ist enttäuscht. Bei
der Bundestagswahl wurde erneut die CDU
mit Abstand stärkste
Partei. Bundeskanzler Ludwig Erhard will
die Koalition mit der
FDP fortsetzen.
In
diesem Jahr 1965 akkumuliert sich immer stärker ein Protestpotential bei uns
Jugendlichen gegen die bestehende, für uns unerträgliche Gesellschaft und gegen
die faschistisch geprägten Eltern.
Unser
Protest besitzt gegenüber dem Protest der 50er-Jahre eine grundlegend neue
Qualität. Das betrifft den Inhalt, die Träger und die Form des Protestes. Zwar
sind es immer noch die Defizite einer mangelnden Demokratisierung der
Gesellschaft - autoritäre Formierung, Vorrang der Kapitalinteressen,
Neoimperialismus - die den Protest speisen, aber die Kritik an der Blockierung
gesellschaftlich-humaner Entwicklungsmöglichkeiten sprengt nun den nationalen
Erfahrungshorizont; sie weitet sich zur Kritik an den "Sachzwängen"
und Herrschaftsinteressen kapitalistischer Industriegesellschaften schlechthin
aus.
Es
ist im wesentlichen der Protest einer neuen Generation, die in das
"Wirt-schaftswunder" hineingewachsen ist und für die die
Glücksversprechungen des Marktes, der Werbung und des Konsums zunächst
ebenso real waren wie das in den Schulen, in der "seriösen Presse"-
und den Sonntagsreden der Politiker verbreitete Phatos westlicher Demokratie.
Jedoch
beide Dimensionen kontrastierten in auffallender Weise mit der
gesellschaftlichen Realität, mit Leistungs- und Konkurrenzzwängen, mit
autoritären Strukturen in Familie, Schule und Betrieb, mit rassischer
Diskriminierung und der militärischen Unterdrückung nationaler
Selbstbestimmung. Diese Widerspruchserfahrungen sind für den Protest der 60er
Jahre in allen westlichen Industriegesellschaften gleichermaßen bestimmend.
Immer
mehr, bildet sich heraus, daß die Studentenschaft hervorragend in der Lage ist,
unsere Unzufriedenheit sowie die nötigen Änderungen zu artikulieren. Aus dieser
intellektuellen Kraft wird sich in den Folgejahren der "gegenkulturelle
Protest" entwickeln.
Was
haben die Beatles eigentlich mit dem beginnenden Protest in Deutschland zu
tuen?
Nun,
es war gerade das Wichtigste an den Beatles, daß sie unpolitisch waren. In
ihren Anfängen hatten die Beatles es nicht nötig, irgendein System offen
anzugreifen: allein ihr Erfolg war Kritik. Sich zu isolieren und unpolitisch zu
sein, bedeutete eine Absage an die Wertvorstellungen der älteren Generation.
Die Beatles waren jedoch mehr als nur eine Rockband. Sie boten ihr ganzes Leben
als eine Art Unterhaltung an und forderten alle Jugendlichen auf, es ihnen
gleichzutun. "Sei frei, pfeif auf den ganzen Mist, man muss sich nicht
nach den Spielregeln der Gesellschaft richten, um es zu etwas zu bringen".
Rockmusik
kann politische Realitäten zwar nicht direkt verändern, aber sie kann
vielleicht dazu beitragen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Rockmusik kann
gesellschaftliche Zwänge nicht aufheben, aber sie zumindest bewusst machen. Sie
kann ein Klima schaffen, in dem Befreiung eher möglich wird.
Zu
dieser Thematik paßt der neue Hit der WHO "My Generation" mit seinem
unbekümmerten Stottergesang ganz genau. "The
Byrds" haben mit "turn, turn, turn" einen Riesenerfolg.
Chart´s
1965
1. Rock´n Roll Music Beatles
2. Help Beatles
3. I can´t get no satisfaction Rolling
Stones
4. Downtown Petula Clark
5. Das ist die Frage aller Fragen Cliff Richard
6. I feel fine Beatles
7. Don´t ha ha Governors
8. The last time Rolling
Stones
9. Pretty woman Roy Orbison
10. Du bist nicht allein Roy Black
Deutscher
Fussballmeister in der Saison 1964/65 ist Werder Bremen.
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