Freitag, 13. November 2015

Autobiografie Seite 14




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Das Jahr großer Nachdenklichkeit und erste Versuche einer eigenständigen Meinungsbildung.

Das Schreibmaschinen-Üben kostet mehr von meiner Freizeit als ich erwartet habe. Natürlich achtet besonders mein Vater darauf, dass das tägliche Pensum, strikt erreicht wird. Mit der Zeit, finde ich dieses verdammte Üben überhaupt nicht mehr lustig, bin aber gezwungen durchzuhalten, was in der Pubertät ganz bestimmt nicht einfach ist.

Aus heutiger Sicht muß ich sagen, daß dieser Kurs mir sehr viel gebracht hat und das ich meinem Vater dankbar bin, daß er so penibel auf die Einhaltung der Übungen geachtet hat. Für mich selber ist die Arbeit an der Schreibmaschine ein absoluter Lernerfolg. Ich registriere ganz bewusst, "wenn man sich voll in eine Sache reinkniet, kann man viel erreichen" auch wenn der Weg mühsam ist.

Wichtig an der ganzen Sache ist, dass ich nicht alleine gelassen werde sondern mein Vater selber mitlernt. Diese Tatsache stellt uns auf die gleiche Stufe und fördert natürlich meine Motivation, da soetwas stattfindet wie ein Wettkampf. Zum ersten male setzt sich ein Elternteil zumindest auf einem Teilgebiet, zu gleichen Bedingungen, mit mir auseinander. Mein Ziel ist es natürlich, besser zu sein als er und am Ende bin ich das auch.

Am 31. März steige ich in das 7. Schuljahr. Notendurchschnitt 2,8

Durch den Schreibmaschinen-Kurs, den Fußball-Verein, sowie die tolle Beat-Musik bleibt mir zunächst nur wenig Zeit zum Nachdenken über die gesellschaftlichen und religiösen Probleme.

Im Sommer fahre ich mit der DJK wieder in ein Zeltlager. Diesmal zelten wir in Brodenbach an der Mosel. Auch dieses Zeltlager habe ich in guter Erinnerung. Ich bin unter gleichgesinnten, und wir haben alle eine tolle Zeit. Das allerwichtigste im Zeltlager sind jedoch die mitgenommenen Kofferradios.
Es entgeht uns kein einziger Beatles-Song.



Fast alle fünf Wochen kommt ein neues Lied der Beatles raus. 1965 sind dies Ticket to ride, Yesterday, Help, You´ve got to hide your love away, We can work it out, Day tripper, Drive my car, Norwegian wood, Michelle, Girl, In my live und als absoluter Höhepunkt "Nowhere man". Als ich in der BRAVO die Übersetzung lese, haut es mich aus den Socken. Besser als in diesem Lied, kann man meine persönliche Situation überhaupt nicht beschreiben.



                   
  
Dieser Text jagt mir in Schauern den Rücken herunter. Die Beatles kennen mich überhaupt nicht, wieso treffen sie dann so genau meine Situation? Es kann nur eine Erklärung dafür geben, den Jung´s geht es genauso wie mir, nein großen Teilen der Jugend geht es genauso wie mir.

Was sind so banale Dinge wie "die Glocke", "Nis-Randers" oder "Herr von Ribbek" gegen die Wahrheit in diesem Text. Die ganze Lyrik der alten Poeten und Dichter hat mir bis jetzt überhauptnichts gebracht, und jetzt kommen diese angeblichen "Affen-Musiker" daher und bringen mir mehr, als alle Schulweisheiten es bis jetzt konnten. Das ist für mich echte Lebenshilfe die bei mir zu einer völligen Solidarisierung mit diesen 4 jungen Männern führt.



Wie ein Besessener sammele ich ab jetzt jede Äußerung, Story, Bilder, Texte eigentlich alles was nur im entferntesten mit den Beatles zu tuen hat. Die Wände in meinem Zimmer sind bald mit Bildern und Berichten über die Beatles zugehängt. Als nächstes Ziel muß ich unbedingt, zum Zeichen meiner Verbundenheit mit den Beatles und zur Demonstration mit allen Gleichge-sinnten, meine Haare länger wachsen lassen und sie in Form der "Pilzköpfe" frisieren.


Jedoch da, spielen meine Eltern überhaupt nicht mit. Es kommt mehrmals zu regelrechten Auseinandersetzungen mit den Eltern, wegen der Haare. Noch füge ich mich der elterlichen Gewalt, jedoch ist die Verhaltensweise meiner Eltern für mich absolut unverständlich denn ihre Argumente erscheinen mir nur kleinbürgerlich und spießig.

Dieses Unverständnis kettet mich nur noch fester an meine Idole und entfremdet mich meinen Eltern für alle Zeiten, denn eines steht für mich ab sofort fest, die Beatles sind für mich die weitaus besseren Eltern.

Durch die Intoleranz und die Unnachgiebigkeit sowohl der Eltern als auch der Jugend soll in den nächsten Jahren ein Generationskonflikt in deutschen Familien ausbrechen, wie es ihn bisher in dieser Stärke noch nie gegeben hat.

Die extremen Standpunkte beider Seiten gipfeln 1968 in Studentenunruhen, sexueller Revolution und für die Jugend in einem absolut neuen Lebensgefühl.

Im Halbjahres-Zeugnis am 23. 10 erreiche ich einen Notendurchschnitt von immerhin noch 2,9  trotz aller Probleme.



24. Januar, Winston Churchill stirbt im Alter von 90 Jahren.

Kanzler Ludwig Erhard geht als "Vater der Wirtschaftswunders" in den Bundestagswahlkampf.

14. März, in Deutschland kommt Karate in Mode.

18. März, als erster Mensch, schwebt der Russe Alexej Leonow frei           
      im All, nur eine Fangleine verbindet ihn mit dem Raumschiff.

25. Juli, Bob Dylan gilt als Begründer des Folk-Rocks. Seine Pro-
      testsongs gegen das Establishment sprechen unserer Generation           
      aus der Seele.

19. September, SPD-Spitzenkandidat Willy Brandt ist enttäuscht. Bei   
      der Bundestagswahl wurde erneut die CDU mit Abstand stärkste
      Partei. Bundeskanzler Ludwig Erhard will die Koalition mit der
      FDP fortsetzen.


In diesem Jahr 1965 akkumuliert sich immer stärker ein Protestpotential bei uns Jugendlichen gegen die bestehende, für uns unerträgliche Gesellschaft und gegen die faschistisch geprägten Eltern.

Unser Protest besitzt gegenüber dem Protest der 50er-Jahre eine grundlegend neue Qualität. Das betrifft den Inhalt, die Träger und die Form des Protestes. Zwar sind es immer noch die Defizite einer mangelnden Demokratisierung der Gesellschaft - autoritäre Formierung, Vorrang der Kapitalinteressen, Neoimperialismus - die den Protest speisen, aber die Kritik an der Blockierung gesellschaftlich-humaner Entwicklungsmöglichkeiten sprengt nun den nationalen Erfahrungshorizont; sie weitet sich zur Kritik an den "Sachzwängen" und Herrschaftsinteressen kapitalistischer Industriegesellschaften schlechthin aus.

Es ist im wesentlichen der Protest einer neuen Generation, die in das "Wirt-schaftswunder" hineingewachsen ist und für die die Glücksversprechungen des Marktes, der Werbung und des Konsums zunächst ebenso real waren wie das in den Schulen, in der "seriösen Presse"- und den Sonntagsreden der Politiker verbreitete Phatos westlicher Demokratie.

Jedoch beide Dimensionen kontrastierten in auffallender Weise mit der gesellschaftlichen Realität, mit Leistungs- und Konkurrenzzwängen, mit autoritären Strukturen in Familie, Schule und Betrieb, mit rassischer Diskriminierung und der militärischen Unterdrückung nationaler Selbstbestimmung. Diese Widerspruchserfahrungen sind für den Protest der 60er Jahre in allen westlichen Industriegesellschaften gleichermaßen bestimmend.

Immer mehr, bildet sich heraus, daß die Studentenschaft hervorragend in der Lage ist, unsere Unzufriedenheit sowie die nötigen Änderungen zu artikulieren. Aus dieser intellektuellen Kraft wird sich in den Folgejahren der "gegenkulturelle Protest" entwickeln.



Was haben die Beatles eigentlich mit dem beginnenden Protest in Deutschland zu tuen?

Nun, es war gerade das Wichtigste an den Beatles, daß sie unpolitisch waren. In ihren Anfängen hatten die Beatles es nicht nötig, irgendein System offen anzugreifen: allein ihr Erfolg war Kritik. Sich zu isolieren und unpolitisch zu sein, bedeutete eine Absage an die Wertvorstellungen der älteren Generation. Die Beatles waren jedoch mehr als nur eine Rockband. Sie boten ihr ganzes Leben als eine Art Unterhaltung an und forderten alle Jugendlichen auf, es ihnen gleichzutun. "Sei frei, pfeif auf den ganzen Mist, man muss sich nicht nach den Spielregeln der Gesellschaft richten, um es zu etwas zu bringen".

Rockmusik kann politische Realitäten zwar nicht direkt verändern, aber sie kann vielleicht dazu beitragen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Rockmusik kann gesellschaftliche Zwänge nicht aufheben, aber sie zumindest bewusst machen. Sie kann ein Klima schaffen, in dem Befreiung eher möglich wird.


Zu dieser Thematik paßt der neue Hit der WHO "My Generation" mit seinem unbekümmerten Stottergesang ganz genau. "The Byrds" haben mit "turn, turn, turn" einen Riesenerfolg.

            Chart´s  1965

            1. Rock´n  Roll Music                        Beatles
            2. Help                                                   Beatles
            3. I can´t get no satisfaction              Rolling Stones
            4. Downtown                                        Petula Clark
            5. Das ist die Frage aller Fragen    Cliff  Richard
            6. I feel fine                                           Beatles
            7. Don´t  ha ha                                      Governors
            8. The last time                                    Rolling Stones
            9. Pretty woman                                  Roy Orbison
           10. Du bist nicht allein                       Roy Black


Deutscher Fussballmeister in der Saison 1964/65 ist Werder Bremen.


















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