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Meine
Kindergartenzeit beginnt.
Ich
befinde mich in einer Phase unermüdlicher Wissbegierde, was Größen-unterschiede
im allgemeinen und die
Geschlechtsunterschiede im besonderen betrifft.
In der Kindergartengruppe kann ich endlich Initiative entwickeln. Dies äußert sich vor allen Dingen in Gemeinschaftsspielen. Ich trete in den Wettkampf mit den anderen Jungen ein und erziele dabei gute Ergebnisse. Nach einer gewissen Zeit, stellt sich eine Hackordnung ein, bei der ich ziemlich vorne liege.
Da
meine Mutter unter MS leidet, kann sie mich nicht zum Kindergarten bringen, so
wie das alle anderen Mütter tuen. Dies bewirkt in mir ein Gefühl von Freiheit
und steigert mein Selbstbewußtsein.
Es ist zwar nur ein relativ kurzer Weg bis zum Kindergarten,
aber dieser Weg wird mir immer in positiver Erinnerung bleiben.
Raus
aus dem zwanghaften Elternhaus, 20m rechts die Gartenstraße entlang, dann
endlich im Gäßchen, nicht mehr unter Beobachtung.
Die ersten 50m trödeln (kein Zeitdruck), Vögel, Spinnen, Schnecken bestaunen. Krämers Katze schleicht über das Grundstück, auf Mausefang. Dann rechts aus der Gasse raus in die Michaelstraße. Die letzten 50m an den Schaufenstern der Geschäfte Lenz und dem Schuster Emmunds vorbei, natür-lich nicht ohne in die Auslage gesehen zu haben. Die Dekoration wechselt ständig, deshalb ist sie für mich interessant. Dann bin ich im Kindergarten und kann meine Jacke an meinem Garderobenhaken (mit dem Schneemann-Bild) aufhängen.
Der
Kindergarten ist für mich die erste Form des Zusammenlebens in einer
Gleichaltrigengruppe. Sie bietet Schutz und eine gewisse Ausgleichsfunktion zum
Elternhaus.
Zwar
werden wir erzogen (gezwungen) in erwachsenenbestimmten Sozialgebilden zu
agieren jedoch die Zumutungen der Erwachsenen (hier die Kindergärtnerin, und
Schwester Dominika) führen bei mir zwangsläufig zur Suche nach
Verhaltenssicherheit gewährenden Formen der Beziehungen und des Zusammenlebens
in der Gleichaltrigengruppe. Die Gruppe der Gleichaltrigen wird zur
Hauptquelle für die Vermittlung von Sicherheit und Status.
Die
Gruppe bietet Rückhalt gegenüber dem Anpassungsdruck der Er-wachsenen und
Verständnis für die Probleme, die sich aus Sexualität und Wachstum ergeben.
Meine
innere Welt, die ich mir bis jetzt gebildet habe, wird bis zu meinem Lebensende
eine gewisse Macht über mich haben.
Mein
kindliches streben nach Autonomie und Abgrenzung wird sowohl von den Eltern als
auch von den Erziehern als Trotz oder Unartigkeit (miss)ver-standen. Autonomie
ist ja bekanntlich der Zustand, in dem ein Mensch in voller Übereinstimmung mit
seinen Gefühlen und Bedürfnissen lebt.
Da
ich weder Gefühle noch Bedürfnisse haben darf, findet der Schritt zur Autonomie
vorerst noch nicht statt, im Gegenteil, meine Erziehung wird voll nach den Verhaltensmustern
der von Hitler versauten Jugend aufgebaut.
Zur
Verdeutlichung der Perversitäten des NS-Erziehungsprogramms zum Herrenmenschen,
hier einige Auszüge:
„das
schwache muß weggehämmert werden. Ich will eine gewalttätige, herrische,
unerschrockene, grausame Jugend. Sie muß Schmerzen ertragen. Ich will keine
intellektuelle Erziehung. Mit Wissen verderbe ich die Jugend. Aber
Beherrschung müssen sie lernen. Aus ihr wächst die Stufe des freien, des
Gottmenschen“.
Durch Eltern, wie meine, d.h. durch dominante, frustrierende und be-ziehungsunwillige Eltern, wurden die Konflikte der 68´er Jugend erst ausgelöst, aber dazu später mehr.
Irgendwie
stand den Eltern ihre eigene Erziehung ständig im Weg.
In
ihrer Kindheit galt das Prinzip "ein Kind darf auf keinen Fall verzärtelt
und verwöhnt werden". Wenn das Kind weint, dann darf die Mutter es nicht
aufnehmen, sondern soll es schreien lassen, bis es erschöpft ist.
Aus
der Unsicherheit, der Angst etwas falsch zu machen, entstand die Lieblosigkeit
meiner Eltern. Sie waren einfach ungeeignet, mich zu einem autonomen Menschen
zu erziehen.
Für
mich sollte genau das gelten, was sie eingetrichtert bekamen. Kinder hatten
nunmal keine Rechte. Widerworte wurden im Keim erstickt.
Sie
wurden zu folgsamen Untertanen des Staates erzogen. Besonders die Mädchen, die
späteren Mütter, lernten schnell ihr Rollenbild, sich auf eine dem Manne
untergeordnete Rolle vorzubereiten.
Für
diese Degradierung brauchten die Mütter dann ein Ventil, und das waren die
eigenen Kinder.
Die
Verdrängung ihrer armseligen Jugend, das Verleugnen ihrer Führertreue, das sich
darstellen als "Opfer", frustrierte sie so, daß sie ihr Fehlverhalten
auf uns Kinder übertragen wollten um es dann in uns zu bekämpfen. Doch dieses
funktionierte bei mir nicht.
Ich
sehe jetzt immer häufiger Autos auf den noch ungeteerten Straßen in der Begau
fahren. Meist sind es Goggo, Fiat, Loyd, NSU, VW.
21.1 Ein halbes Jahr, nachdem der Bundestag die
allgemeine Wehr-
pflicht beschlossen hat, werden die
ersten 100000 Wehrpflich-
tigen gemustert.
4.4 Es finden die ersten Massenimpfungen gegen
Kinderlähmung
statt, 1956 waren 4159 Menschen daran
erkrankt.
7.8 Mit 65 Jahren stirbt der große Oliver
Hardy, besser als "Dick"
von "Dick und Doof"
bekannt.
18.9 In Berlin wird die "schwangere
Auster", die Kongreßhalle er-
öffnet.
4.10 Die Sowjetunion schickt ihren ersten
Satelliten "Sputnik 1" in
das All. Die Eroberung des Weltraums
beginnt.
1.11 Die Edelnutte Rosemarie Nitribitt wird tod
in Frankfurt aufge-
funden, erwürgt.
Zum
drittenmal nach 1945 gewinnt die CDU/CSU die Bundestagswahl,
diesmal
mit absoluter Mehrheit 50,2%
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