1953
Mitte des Jahres ist (nach Sigmund Freud, einer meiner späteren Lieblingsautoren) die späte orale Phase abgeschlossen. Nun setzt die frühe anale Phase ein. Sie wird sich über das gesamte zweite Lebensjahr erstrecken.
Ich lerne laufen,
springen, Dinge festhalten, tragen, reichen und empfangen.
Wegen der
natürlichen Ungeschicklichkeit in diesem Alter wirkt mein Verhal-
ten noch
unwillkürlich zerstörerisch. Ich verstreue die Dinge und verschmiere
sie noch
unkontrolliert.
Ordnung und
Konstruktion gelingen mir noch nicht. In der sprachlichen Ent-
wicklung lerne ich,
daß Dinge Namen haben und das man sich über sie und
über einander mit
Personen verständigen kann.
Da ich ein
Einzelkind bin, wird mein soziales Verhalten zunächst vorwiegend
von der Mutter und
vom Vater bestimmt. Jedoch die soziologische Entwick-
lung zur Klein- bzw.
Kernfamilie findet in diesen Jahren noch nicht statt, so
daß auch andere
Personen Einfluß haben.
Durch die Präsenz
von Oma Otti sowie von mehreren Onkeln und Tanten er-
fahre ich positive
soziale Verhaltensweisen.
Im Verhältnis zu
meinen Eltern gibt es erste kleine Machtkämpfe. Ich reali-
siere, man hat entweder alle Macht oder gar
keine. Da beide Elternteile in
verschiedener Weise
sehr machtorientiert sind, bleibt für mich zunächst nicht
viel übrig. Ich kann
auch noch leicht abgelenkt oder überlistet werden, um
den Eltern zu Willen
zu sein.
Gefühle von
besonderer Fürsorge oder gar Liebe kann ich bei meinen Eltern
überhaupt nicht
erkennen. Auch spielen meine Eltern nicht mit mir. Interesse
und Zuneigung
erfahre ich eigentlich nur von Oma Otti sowie von Onkel Lud-
wig und Onkel Fritz.
Bei meinen Eltern bleibe ich mir selbst überlassen oder es werden Dinge in mich
programmiert, die ich darf und die ich nicht darf. Dieses geschieht aber nicht
auf eine liebevolle, erklärende Art sondern ausschließlich unter Druck und
Zwang.
Die
Erziehungsmethode ist in der Hauptsache geprägt von Drill und Dressur
und wird
vorwiegend (im Sinne des Vaters) von der Mutter durchgeführt.
Ein Teilbereich der
Auseinandersetzung mit der Mutter, betrifft meine Aus-
scheidungsfunktion.
Ich werde zwar aufmerksam auf die Ausscheidungen,
will mich aber nicht
von der Mutter kontrollieren lassen. Ähnlich oft wie beim
Essen, gibt es auch
wegen der Ausscheidungsfunktionen Kontakte, Auseinan-
dersetzungen und
Verhandlungen zwischen mir und der Mutter.
Diese Machtkämpfe sind zunächst primitiv. Das Motto „alles oder nichts“
do-
miniert. Die
Ausscheidung selbst erfolgt nicht mehr automatisch, wohl aber
impulsiv und eruptiv.
Ich habe keine
sichere und im allgemeinen keine längerfristige Kontrolle darüber. Deshalb kann
ich auch nur von Mal zu Mal ein Einvernehmen darüber erzielen, wo und wie ich
ausscheiden soll und was man mit den Ausscheidungen tut.
ist in dieser Phase
um den Anus gruppiert und sein Produkt, den Kot. Ich mache
die Erfahrung, daß
ich durch Zurückhalten des Kotes oder mehrmalige Stuhl-
entleerung Lust
gewinnen kann. Mit meinem Kot besitze ich jetzt etwas, daß ich
nicht hergeben will,
es ist mein eigenes Produkt; mein Kot. Zugleich werden in
meinem Verhalten
aggressive Haltungen erkennbar; ich widersetze mich der
Mutter, was man als
Trotz bezeichnen kann, Lust am Zerstören wird wach; ich
zerlege
beispielsweise mein Spielzeugauto in Einzelteile, aber nicht aus Neugier,
sondern auch aus einem Trieb zu zerstören.
Das Grundthema der
analen Phase ist der Gegensatz von Festhalten und Her-
geben. Mein
Interesse verlagert sich von der Welt des Mundes auf jene der Aus-
scheidungsorgane,
der Ausscheidungsprozesse und deren Produkt.
Die Mutter erhebt
ihre Forderungen über die Verfahrensweisen der Ausschei-
dungsfunktionen und
schreibt Verhaltensweisen vor. Ich mache die Erfahrung,
daß das Zurückhalten
des Kotes gegen die Forderung der Mutter mir nicht nur
Lust, sondern auch
die erste Erfahrung von meiner Macht bereitet. Das Beugen
vor der mütterlichen
Forderung nach Reinlichkeit und pünktlicher Entleerung
erzeugt in mir Wut,
Unlust und Haß. Hierbei lassen sich gut die Gegensatzpaare
Sauberkeit gegen
Beschmutzungslust, Hergeben gegen Behalten und eigener
Wille gegen die
Forderung der Mutter erkennen. Ich erlebe erstmals den Triumph, daß ich mich
der Mutter widersetzen kann, indem ich den Kot nicht hergebe. Ich kann die
Mutter ohnmächtig machen, ihre Macht in Frage stellen. Und dies ist der
Ausdruck der Ambivalenz von Herrschen (der Mutter) gegen Protest (des Kindes).
Wegen dieser
natürlichen Probleme mit den Ausscheidungsfunktionen, nannte
Freud, diese Phase,
die frühe anale Phase. Er entdeckte, dass im sogenannten
analen Charakter sich regelmäßig die Merkmale Eigensinn, Ordnungsliebe und Sparsamkeit
vorfinden, und er nannte dies die „anale
Trias“.
Gegen den
mütterlichen Zwang entwickelt sich Eigensinn, Trotz, Sadismus und Sturheit. Im analen Charakterbild spielen Sauberkeit,
Ordentlichkeit hin bis zur Pedanterie eine bedeutende Rolle. Freud setzte
Kot mit Geld gleich, daraus entstehen Sparsamkeit, Horten, Zurückhalten,
Zögern, Alles beim alten lassen. Nichthergeben können jeglichen Trödels, alles
muss gehortet und gespeichert werden. Die
Reaktionsbildung zeigt sich in Unterwürfigkeit, Weichheit und Übergüte.
Bei der analen Phase
geht es um Hergeben und Behalten, Beherrschen und Be-
herrscht werden,
zuwendungsvolle Mutter gegen lieblose Mutter. Bei falscher
Erziehung bildet
sich hier beim Kinde der erste Trotz aus, der unbeugsam sein
kann. Man spricht dann von analem Trotz. Und
dieser kann, oft lebensbeglei-
tend unerbittlich, ja heimtückisch sein. Bleibt ein Mensch in seiner Entwicklung auf
diese Stufe fixiert und bildet er später eine Neurose aus, so wird dies eine Zwangsneurose sein. Die meisten dieser
Feststellung von Freud kann ich aus eigenem Erleben voll bestätigen.
Die primitivsten
Ängste in dieser Phase, sind nicht mehr das Verschlungen wer-
den, sondern Angst
getötet, gequetscht, zerschmettert oder verstümmelt zu werden. Alles was ich
mit den Dingen machen kann, nämlich zerbrechen, auseinanderreißen, verstreuen
oder verschmieren, fürchte ich nun gegebenenfalls als Bedrohung gegen mich
selbst.
Schlagzeilen des
Jahres.
13.2 In
Bordeaux verurteilt ein Militärgericht 21 frühere Mitglieder
des
SS-Einheit „Das Reich“. Sie hatten 1944 in Oradour-sur-
Glane
642 Menschen massakriert, darunter 242 Kinder.
19.3 Vier
Oscars für den Western „High Noon“.
29.5 Erste
Mount Everest-Bezwingung durch den Spitzen-
Alpenisten
Edmund Hillary.
2.6 Elizabeth II, wird in der Westminster
Abbey offiziell gekrönt,
sie
ist 27 Jahre alt.
17.6 Ein
blutiges Datum im Kalender der deutschen Geschichte.
Als das
SED-Regime seine Untertanen zu noch mehr Leistung
zwingen
will und die Normen erhöht, gehen Tausende auf die
Straße
und rufen „wir wollen freie Menschen sein“. Die Arbei-
terregierung
läßt auf ihrer Arbeiter schießen. Russische Pan-
zer
walzen den Aufstand nieder und der Westen sieht taten-
los
zu. Es folgt eine Fluchtwelle.
27.7 Nach
drei Jahren und drei Millionen Toten endet der Korea-
krieg
mit einem Waffenstillstandsabkommen.
12.9 Der
amerikanische Senator John F. Kennedy und Millionärs-
tochter
Jaqueline Bouvier heiraten.
1.12 Die
erst Ausgabe des „Playboy“ erscheint, Titelbild „Mari-
lyn
Monroe“
20.12 Audrey Hepburn wird zur „Entdeckung des Jahres“ gewählt.
Stalin
stirbt.
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