Freitag, 13. November 2015

Autobiografie Seite 2




                            

                                                       1953

Mitte des Jahres ist (nach Sigmund Freud, einer meiner späteren Lieblingsautoren) die späte orale Phase abgeschlossen. Nun setzt die frühe anale Phase ein. Sie wird sich über das gesamte zweite Lebensjahr erstrecken.
Ich lerne laufen, springen, Dinge festhalten, tragen, reichen und empfangen.



                                        
Wegen der natürlichen Ungeschicklichkeit in diesem Alter wirkt mein Verhal-
ten noch unwillkürlich zerstörerisch. Ich verstreue die Dinge und verschmiere
sie noch unkontrolliert.

Ordnung und Konstruktion gelingen mir noch nicht. In der sprachlichen Ent-
wicklung lerne ich, daß Dinge Namen haben und das man sich über sie und
über einander mit Personen verständigen kann.

Da ich ein Einzelkind bin, wird mein soziales Verhalten zunächst vorwiegend
von der Mutter und vom Vater bestimmt. Jedoch die soziologische Entwick-
lung zur Klein- bzw. Kernfamilie findet in diesen Jahren noch nicht statt, so
daß auch andere Personen Einfluß haben.

Durch die Präsenz von Oma Otti sowie von mehreren Onkeln und Tanten er-
fahre ich positive soziale Verhaltensweisen.

Im Verhältnis zu meinen Eltern gibt es erste kleine Machtkämpfe. Ich reali-
siere, man hat entweder alle Macht oder gar keine. Da beide Elternteile in
verschiedener Weise sehr machtorientiert sind, bleibt für mich zunächst nicht
viel übrig. Ich kann auch noch leicht abgelenkt oder überlistet werden, um
den Eltern zu Willen zu sein.

Gefühle von besonderer Fürsorge oder gar Liebe kann ich bei meinen Eltern
überhaupt nicht erkennen. Auch spielen meine Eltern nicht mit mir. Interesse
und Zuneigung erfahre ich eigentlich nur von Oma Otti sowie von Onkel Lud-
wig und Onkel Fritz. Bei meinen Eltern bleibe ich mir selbst überlassen oder es werden Dinge in mich programmiert, die ich darf und die ich nicht darf. Dieses geschieht aber nicht auf eine liebevolle, erklärende Art sondern ausschließlich unter Druck und Zwang.

Die Erziehungsmethode ist in der Hauptsache geprägt von Drill und Dressur
und wird vorwiegend (im Sinne des Vaters) von der Mutter durchgeführt.

Ein Teilbereich der Auseinandersetzung mit der Mutter, betrifft meine Aus-
scheidungsfunktion. Ich werde zwar aufmerksam auf die Ausscheidungen,
will mich aber nicht von der Mutter kontrollieren lassen. Ähnlich oft wie beim
Essen, gibt es auch wegen der Ausscheidungsfunktionen Kontakte, Auseinan-
dersetzungen und Verhandlungen zwischen mir und der Mutter.  Diese Machtkämpfe sind zunächst primitiv. Das Motto „alles oder nichts“ do-
miniert. Die Ausscheidung selbst erfolgt nicht mehr automatisch, wohl aber
impulsiv und eruptiv.
Ich habe keine sichere und im allgemeinen keine längerfristige Kontrolle darüber. Deshalb kann ich auch nur von Mal zu Mal ein Einvernehmen darüber erzielen, wo und wie ich ausscheiden soll und was man mit den Ausscheidungen tut.


In der analen Phase ist der Enddarm (Anus) libidinös besetzt. Meine Erlebniswelt
ist in dieser Phase um den Anus gruppiert und sein Produkt, den Kot. Ich mache
die Erfahrung, daß ich durch Zurückhalten des Kotes oder mehrmalige Stuhl-
entleerung Lust gewinnen kann. Mit meinem Kot besitze ich jetzt etwas, daß ich
nicht hergeben will, es ist mein eigenes Produkt; mein Kot. Zugleich werden in
meinem Verhalten aggressive Haltungen erkennbar; ich widersetze mich der
Mutter, was man als Trotz bezeichnen kann, Lust am Zerstören wird wach; ich
zerlege beispielsweise mein Spielzeugauto in Einzelteile, aber nicht aus Neugier, sondern auch aus einem Trieb zu zerstören.

Das Grundthema der analen Phase ist der Gegensatz von Festhalten und Her-
geben. Mein Interesse verlagert sich von der Welt des Mundes auf jene der Aus-
scheidungsorgane, der Ausscheidungsprozesse und deren Produkt.
Die Mutter erhebt ihre Forderungen über die Verfahrensweisen der Ausschei-
dungsfunktionen und schreibt Verhaltensweisen vor. Ich mache die Erfahrung,
daß das Zurückhalten des Kotes gegen die Forderung der Mutter mir nicht nur
Lust, sondern auch die erste Erfahrung von meiner Macht bereitet. Das Beugen
vor der mütterlichen Forderung nach Reinlichkeit und pünktlicher Entleerung
erzeugt in mir Wut, Unlust und Haß. Hierbei lassen sich gut die Gegensatzpaare
Sauberkeit gegen Beschmutzungslust, Hergeben gegen Behalten und eigener
Wille gegen die Forderung der Mutter erkennen. Ich erlebe erstmals den Triumph, daß ich mich der Mutter widersetzen kann, indem ich den Kot nicht hergebe. Ich kann die Mutter ohnmächtig machen, ihre Macht in Frage stellen. Und dies ist der Ausdruck der Ambivalenz von Herrschen (der Mutter) gegen Protest (des Kindes).

Wegen dieser natürlichen Probleme mit den Ausscheidungsfunktionen, nannte
Freud, diese Phase, die frühe anale Phase. Er entdeckte, dass im sogenannten
analen Charakter sich regelmäßig die Merkmale Eigensinn, Ordnungsliebe und Sparsamkeit vorfinden, und er nannte dies die „anale Trias“.
Gegen den mütterlichen Zwang entwickelt sich Eigensinn, Trotz, Sadismus und Sturheit. Im analen Charakterbild spielen Sauberkeit, Ordentlichkeit hin bis zur Pedanterie eine bedeutende Rolle. Freud setzte Kot mit Geld gleich, daraus entstehen Sparsamkeit, Horten, Zurückhalten, Zögern, Alles beim alten lassen. Nichthergeben können jeglichen Trödels, alles muss gehortet und gespeichert werden. Die Reaktionsbildung zeigt sich in Unterwürfigkeit, Weichheit und Übergüte. 

Bei der analen Phase geht es um Hergeben und Behalten, Beherrschen und Be-
herrscht werden, zuwendungsvolle Mutter gegen lieblose Mutter. Bei falscher
Erziehung bildet sich hier beim Kinde der erste Trotz aus, der unbeugsam sein
kann. Man spricht dann von analem Trotz. Und dieser kann, oft lebensbeglei-
tend unerbittlich, ja heimtückisch sein. Bleibt ein Mensch in seiner Entwicklung auf diese Stufe fixiert und bildet er später eine Neurose aus, so wird dies eine Zwangsneurose sein. Die meisten dieser Feststellung von Freud kann ich aus eigenem Erleben voll bestätigen.


Die primitivsten Ängste in dieser Phase, sind nicht mehr das Verschlungen wer-
den, sondern Angst getötet, gequetscht, zerschmettert oder verstümmelt zu werden. Alles was ich mit den Dingen machen kann, nämlich zerbrechen, auseinanderreißen, verstreuen oder verschmieren, fürchte ich nun gegebenenfalls als Bedrohung gegen mich selbst.



Schlagzeilen des Jahres.

         13.2         In Bordeaux verurteilt ein Militärgericht 21 frühere Mitglieder
                        des SS-Einheit „Das Reich“. Sie hatten 1944 in Oradour-sur-
                        Glane 642 Menschen massakriert, darunter 242 Kinder.

         19.3         Vier Oscars für den Western „High Noon“.

         29.5         Erste Mount Everest-Bezwingung durch den Spitzen-          
                         Alpenisten Edmund Hillary.

           2.6         Elizabeth II, wird in der Westminster Abbey offiziell gekrönt,
                       sie ist 27 Jahre alt.

         17.6         Ein blutiges Datum im Kalender der deutschen Geschichte. 

                  Als das SED-Regime seine Untertanen zu noch mehr Leistung
                  zwingen will und die Normen erhöht, gehen Tausende auf die
                  Straße und rufen „wir wollen freie Menschen sein“. Die Arbei-
                  terregierung läßt auf ihrer Arbeiter schießen. Russische Pan-
                  zer walzen den Aufstand nieder und der Westen sieht taten-
                  los zu. Es folgt eine Fluchtwelle.

         27.7         Nach drei Jahren und drei Millionen Toten endet der Korea-
                         krieg mit einem Waffenstillstandsabkommen.

         12.9         Der amerikanische Senator John F. Kennedy und Millionärs-
                         tochter Jaqueline Bouvier heiraten.

         1.12         Die erst Ausgabe des „Playboy“ erscheint, Titelbild „Mari-
                         lyn Monroe“

                                




             20.12   Audrey Hepburn wird zur „Entdeckung des Jahres“ gewählt.

                         Stalin stirbt.







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