1954
Zum Ende dieses
zweiten Jahres spreche ich Zwei- oder Mehrwortsätze. Die
Worte haben
Bedeutung, ich mache Aussagen und Mitteilungen.
Ab Sommer tritt die
späte anale Phase ein. Sie erstreckt sich über das dritte
Lebensjahr. Die
Handgeschicklichkeit erhöht sich, der Umgang mit Dingen
wie Spielsachen
verfeinert sich. Die Objekte gehen unter meiner Behandlung
nicht mehr zugrunde.
Eine gewisse „Ordnung“ entsteht.
Ich bastele mit
Bausteinen und male mit Vergnügen. Diese Verfeinerung er-
streckt sich auch
auf den Umgang mit den Ausscheidungen. Ich lerne, mich
bemerkbar zu machen,
wenn ich auf´s Töpfchen muß. Ich benehme mich nun
so, wie es sich die
Eltern vorgestellt haben.
Wegen meines
mangelnden Ur-Vertrauens kann ich nicht, wie andere gleich-
altrige Kinder, als
Bewältigungsresultat der späten analen Phase, Gefühle von
Autonomie und
Stolz erwerben. Ich habe nie
das Gefühl von Ur-Vertrauen zu
mir selbst und der
Welt erfahren. Mein Wunsch „auf eigenen Füßen zu stehen“
wird von den Eltern
nicht genügend unterstützt, ja sogar partiell bewusst verhindert. Durch die
nicht richtig aufgearbeiteten Krisen in dieser Phase entsteht eine Entwicklung
zum Zwangscharakter.
Diese autoritäre
Charakterentwicklung führt bei mir zu Egoismus und Geiz, ver-
bunden mit einem
Rückfall in narzißtische Strukturen.
Da meine Eltern,
beide zwanghafte Charaktere sind, ist diese Persönlichkeits-
entwicklung im
Grunde genommen als Spiegelbild ihres eigenen Verhaltens,
erwünscht. Die
zwanghaften Verhaltensmuster der Eltern wie Geiz, Kleinlich-
keit in Bezug auf
Liebe, Geld und Zeit werden auf mich übertragen und begin-
nen in mir zu
wurzeln.
Eine ganz
herausragende Eigenschaft des Zwangscharakters ist sein übertrie-
benes Schamgefühl.
Jedenfalls fühlen sich Zwanghafte stets exponiert und be-
obachtet, belauern
sich auch selbst nach Regungen die sie für unsauber halten.
Die starke Betonung
des Schamgefühles führt, wegen der bei mir einsetzenden
Reaktionsbildung.
paradoxerweise keineswegs zu einem besonderen Gefühl des
Anstandes, sondern
zu zwei entgegengesetzten Reaktionen:
1. die mit einem Tabu belegten Dinge,
möchte ich gerne heim-
lich tun.
2. ich projiziere meine verbotenen
Neigungen auf andere, und be-
kämpfe sie dann bei diesen.
In diesem
Konflikt kann sich mein kindliches „Ich“ nicht stabilisieren. Ein un-
stabiles „Ich“ bedeutet für die folgenden Jahre eine
permanente Identitätskrise mit dem Symptom „allgemeine Lebensunlust“.
In einer gesunden
Entwicklung müßte sich mein „Ich“ in den ersten drei Lebens-
jahren, in einer zweiten
Geburt, aus der engen symbiotischen Einheit mit der
Mutter lösen. Wegen
der auferlegten Zwänge gelingt mir dieses jedoch nur teil-
weise. So
entsteht durch diese „Ich-Störung“, für mich eine „schwarz-weiß-Welt“, ohne
Nuancen und Zwischentöne.
Bei den
praktizierten Erziehungsmethoden der Eltern, gelingt es mir nicht, meine Selbstständigkeit
zu erproben bei gleichzeitiger Geborgenheit und liebevoller Begleitung durch
die Eltern. Ursächlich für diese Fehlleistung sind die Unfähigkeit, Unsicherheit
und Zwanghaftigkeit der Eltern. Meine erwachende Eigenständigkeit wird mit
Enttäuschung, Liebesentzug oder Ängstlichkeit quittiert. Selbstsicherheit und
das Gefühl für die Grenzen des eigenen „Ich“ können sich bei mir nicht richtig
entwickeln. Ich werde quasi gezwungen meine Wünsche denen der Eltern zu
unterwerfen.
In mir entsteht ein
falsches „Selbst“, ein gespieltes, dargestelltes, unechtes
„Selbst“, mit dem die Eltern zufrieden sind. Ich muss
mein wahres „Selbst“ ver-
leugnen. Die
Selbstverleugnung wird für viele meiner Leidensgenossen, als
Strategie für das
restliche Leben verinnerlicht. Meine große Chance, dieser Selbst-
verleugnung doch
noch zu entfliehen, bietet die Pubertät, da in dieser Phase
die eigenen Wünsche
radikaler vertreten und vielleicht auch durchgesetzt wer-
den können.
Schlagzeilen des
Jahres
04.01 Die
ersten Parkuhren werden in Deutschland (Duisburg)
aufgestellt.
21.01 Das
erst Atom-U-Boot der Welt, die „Nautilus“ läuft in den
Vereinigten
Staaten vom Stapel.
25.03 8
Oscars für den Film „Verdammt in alle Ewigkeit“.
20.06 Hans
Günter Winkler gewinnt auf Halla die Weltmeister-
schaft
der Springreiter in Madrid.
04.07 Die
Helden von Bern. Deutschland wird erstmalig Fußball-
Weltmeister.
Es war der Tag, der die junge Republik ver-
änderte.
Aus den im Krieg besiegten, wurden wieder Sieger.
Der
Wundertrainer, der dies fertig brachte, heißt Sepp Her-
berger.
Die Fußballer Toni Turek, Helmut Rahn und Fritz
Walter
werden Vorbilder der durch den Krieg frustrierten
Generation.
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